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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens
Autoren: Jeff Lindsay
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fiel nichts Besseres ein, als in ihrem Kielwasser zu folgen und ihr wiederholtes »O Gott! O Gott!« angesichts jeder neuen Filmschleife heldenhaft zu ertragen.
    Am Ende des Raums stand die größte Gruppe und betrachtete an der Wand etwas, das so angebracht war, dass wir nur das Metall des Rahmens erkennen konnten. An den Mienen der Besucher war abzulesen, dass es sich um ein echtes Prachtexemplar handelte, den Höhepunkt der Schau, und ich wurde ein wenig ungeduldig, weil ich es mir ansehen und das Ganze hinter mich bringen wollte, doch Rita bestand darauf, sich zuerst alle Clips auf dem Weg dorthin anzuschauen. Jeder Film zeigte, wie die Frau ihrem Bein weitere furchtbare Dinge antat, bis sie schließlich im letzten, etwas längeren, einfach nur dort saß und auf ihr Bein hinunterstarrte, von dem zwischen Knie und Knöchel nichts geblieben war außer glattem weißen Knochen. Das Fleisch am Fuß war vollkommen unversehrt, ein seltsamer Anblick am Ende der fahlen Länge des Knochens.
    Noch seltsamer wirkte der Ausdruck von Erschöpfung und triumphierendem Schmerz auf Jennifers Gesicht, der besagte, dass sie offensichtlich etwas bewiesen hatte. Ich warf einen Blick ins Programm, fand jedoch keine Erklärung, was dieses Etwas sein sollte.
    Auch Rita schien keine Erleuchtung zu haben. Sie war in dumpfes Schweigen verfallen und starrte nur auf den letzten Clip, den sie dreimal betrachtete, ehe sie ein letztes Mal den Kopf schüttelte und wie hypnotisiert zu der größeren Gruppe von Leuten trat, die sich um das Etwas im metallenen Rahmen am Ende des Raumes drängten.
    Wie sich herausstellte, war es das interessanteste Objekt der Ausstellung, soweit es mich betraf, ein echter Reißer, und ich konnte das zustimmende Kichern des Passagiers vernehmen. Zum ersten Mal war Rita nicht einmal mehr in der Lage, ein weiteres »O Gott« auszustoßen.
    Auf einer rohen Sperrholzplatte in einem Metallrahmen war Jennifers Bein befestigt. Diesmal das ganze, inklusive allem vom Knie abwärts.
    »Nun«, bemerkte ich, »zumindest wissen wir jetzt, dass es kein Trick war.«
    »Das ist eine Fälschung«, sagte Rita, aber ich glaube nicht, dass sie davon überzeugt war.
    Irgendwo dort draußen, inmitten der strahlenden Lichter der glamourösesten Stadt der Welt schlugen Kirchenglocken die Stunde. Doch in der kleinen Galerie ging es nur wenig glamourös zu, und die Glocken klangen ungewöhnlich laut – beinah laut genug, um ein anderes Geräusch zu übertönen, das Zischen einer leisen, vertrauten Stimme, die mich wissen ließ, dass es noch wesentlich interessanter werden würde, und weil ich gelernt habe, dass diese Stimme fast immer recht behält, drehte ich mich um.
    Und tatsächlich, als ich zum Eingang sah, wurde die Luft sogar noch dicker. Denn vor meinen Augen schwang die Tür auf, und Jennifer persönlich klirrte herein.
    Zuvor hatte ich den Raum als sehr still empfunden, doch das war Karneval gewesen im Vergleich zu dem Schweigen, das ihr folgte, als sie an Krücken durch den Raum humpelte. Sie war bleich und hager. Ihr Stripperinnenkostüm hing locker an ihrem Körper, und sie bewegte sich langsam und vorsichtig, als wäre sie noch nicht an die Krücken gewöhnt. Ein sauberer weißer Verband verhüllte den Stumpf ihres neuerdings fehlenden Beins.
    Während Jennifer sich der Stelle näherte, an der wir unter dem ausgestellten Beinknochen standen, spürte ich, wie Rita zurückwich, um jeden möglichen Kontakt mit der einbeinigen Frau zu vermeiden. Ich warf ihr einen flüchtigen Blick zu; sie war beinah so bleich wie Jennifer und hatte offenbar die Atmung eingestellt.
    Ich sah mich erneut um. Ebenso wie Rita wich die Menge zurück, die weit aufgerissenen Augen auf Jennifer fixiert, bis diese schließlich nur einen halben Meter vor ihrem Bein stehen blieb. Sie starrte es einen langen Augenblick an, sich anscheinend nicht bewusst, dass sie einen ganzen Raum voller Menschen des Sauerstoffs beraubte. Dann ließ sie eine Krücke los, beugte sich vor und berührte den Beinknochen.
    »Sexy«, sagte sie.
    Ich drehte mich zu Rita, weil ich dachte, ich könnte ihr »ars longa« oder eine ähnlich geistreiche Bemerkung zuflüstern. Doch es war zwecklos.
    Rita war in Ohnmacht gefallen.

3
    Z wei Tage später, an einem Freitagabend, trafen wir am Flughafen in Miami ein, wo mir angesichts der böswilligen, fluchenden und einander von den Gepäckbändern abdrängenden Menschenmassen fast die Tränen gekommen wären. Jemand versuchte, sich mit Ritas
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