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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens
Autoren: Jeff Lindsay
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der Hand, durch diese düsteren Gassen gleitet, auf dem Weg zu einer dringenden Verabredung in einem dieser alten Gemäuer, die sich herabzubeugen und zu Untaten aufzufordern scheinen.
    Und die Straßen selbst, bestehend aus diesen großen Steinquadern, die perfekt sind für Verstümmelungen jeder Art. In Miami hätte man sie schon vor langer Zeit ausgegraben und durch die Windschutzscheiben vorbeifahrender Wagen geschmettert oder an ein Straßenbauunternehmen verkauft.
    Doch leider sind wir nicht in Miami. Das hier ist Paris. Und so vertreibe ich mir die Zeit und konsolidiere diese lebhafte neue Phase von Dexters Tarnung in der Hoffnung, nur noch eine weitere Woche von Ritas Traum-Honigmond überstehen zu müssen. Ich trinke französischen Kaffee – gemessen an Miamis Maßstäben schwach – und
vin de table
 – dessen Rot beunruhigend an Blut erinnert – und staune über die Fähigkeit meiner Frau, alles Französische aufzusaugen. Sie hat gelernt, außerordentlich reizend zu erröten, wenn sie
table pour deux, s’il vous plaît
sagt, worauf die französischen Kellner umgehend begreifen, dass es nagelneue zwei sind. Als hätten sie sich im Vorfeld verschworen, Ritas romantische Phantasien nicht zu enttäuschen, lächeln sie fast immer liebevoll und dienern uns zu einem Tisch. Eigentlich fehlt nur noch, dass sie im Chor
La vie en rose
singen.
    Ah, Paris. Ah,
l’amour.
    Wir bringen unsere Tage damit zu, durch Paris zu trotten und vor schrecklich wichtigen, auf dem Stadtplan vermerkten Sehenswürdigkeiten stehen zu bleiben. Unsere Abende verbringen wir in kleinen, originellen Esslokalen, viele davon mit französischer Musik als Sonderbonus. Wir haben sogar eine Vorstellung von
Der eingebildete Kranke
der Comédie Française besucht. Aus irgendeinem Grund war sie komplett auf Französisch, aber Rita schien sie zu genießen.
    Zwei Abende später scheint sie die Show im Moulin Rouge nicht weniger zu genießen. Tatsächlich scheint sie alles an Paris zu genießen, sogar eine Bootsfahrt den Fluss hinauf und hinab. Ich verkneife mir den Hinweis, dass zu Hause in Miami wesentlich schönere Bootsfahrten zu haben sind, Bootsfahrten, an denen sie nie das geringste Interesse bekundet hat, doch allmählich beginne ich mich zu fragen, was, wenn überhaupt etwas, wohl in ihrem Kopf vorgeht.
    Sie stürmt jede Sehenswürdigkeit der Stadt, mit Dexter als unwilligem Stoßtrupp, und nichts kann sie aufhalten. Der Eiffelturm, der Triumphbogen, Versailles, Sacré-Cœur, Notre-Dame; sie alle werden Opfer ihrer stürmischen blonden Aufmerksamkeit und ihres erbarmungslosen Reiseführers.
    Langsam scheint es, als sei der Preis für diese Tarnung recht hoch, doch Dexter ist der vollkommene Soldat. Stetig stapft er unter der schweren Last der Pflicht und der Wasserflaschen einher. Er beklagt sich weder über Hitze noch über wunde Füße oder die riesigen, reizlosen Massen in ihren zu engen Shorts, T-Shirts aus den Souvernirläden und Flipflops.
    Er unternimmt dennoch einen kleinen Versuch, sein Interesse wachzuhalten. Auf der Stadtrundfahrt, während ein Tonband in acht Sprachen die Namen der diversen faszinierenden Gebäude von immenser historischer Bedeutung herausdröhnt, taucht in Dexters allmählich abgewürgtem Verstand ein ungebetener Gedanke auf. Es scheint nur gerecht, dass in dieser Stadt nicht enden wollender Akkordeonbegleitung auch ein Pilgerort für außerordentlich leidende Ungeheuer zu finden ist, und ich kenne ihn. Beim nächsten Halt bleibe ich in der Bustür stehen und stelle dem Fahrer eine einfache und unschuldige Frage. »Verzeihung. Halten wir auch in der Nähe der Rue Morgue?«
    Mit einer unwilligen Geste zieht der Fahrer einen der Ohrstöpsel seines iPods, mustert mich von Kopf bis Fuß und zieht eine Augenbraue hoch.
    »Die Rue Morgue«, wiederhole ich. »Halten wir in der Nähe der Rue Morgue?«
    Mir fällt auf, dass ich im zu lauten Ton des amerikanischen Fremdsprachenignoranten spreche, und so verstumme ich. Der Fahrer starrt mich an. Aus dem baumelnden Ohrstöpsel dringt blecherner Hip-Hop. Dann zuckt er die Achseln. In sehr schnellem Französisch stürzt er sich in eine kurze und leidenschaftliche Erklärung meiner vollkommenen Ignoranz, stöpselt den Kopfhörer wieder ein und öffnet die Bustür.
    Kleinlaut, verlegen und ein wenig enttäuscht folge ich Rita aus dem Bus. Es war mir so einfach erschienen, einen feierlichen Halt in der Rue Morgue einzulegen, um einer bedeutenden kulturellen Stätte der Welt
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