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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques
Autoren: Fred Vargas
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gekreuzt, eine anmutige Haltung, ein recht hübsches Gesicht. Mathias saß vor ihr, er hatte ebenfalls schöne Gesichtszüge, die nach unten zu ein bißchen schwer wurden, aber das klare Blau in den Augen war wie ein ruhiges Meer ohne Tücken. Lucien war damit beschäftigt, Gläser und Flaschen hervorzuholen, während er immer wieder ruckartig seine Haare nach hinten warf – das Gesicht eines Kindes, die Krawatte eines Mannes. Sie fühlte sich beruhigt. Denn warum war sie schließlich hergekommen, wenn nicht, weil sie Angst hatte?
    »Nun«, sagte sie und nahm das Glas, das ihr Lucien lächelnd hinstreckte. »Ich bin untröstlich, aber ich brauchte jemanden, der mir einen Gefallen erweist.«
    Zwei Augenpaare blickten sie wartend an. Jetzt mußte sie es erklären. Aber wie sollte man von einer derart lächerlichen Sache reden? Lucien hörte nicht zu. Er kam und ging und schien das Garen eines recht komplizierten Gerichts in der Küche zu überwachen, das seine ganze Energie in Anspruch nahm.
    »Es ist eine ganz lächerliche Geschichte. Aber ich brauchte jemanden, der mir einen Gefallen erweist«, wiederholte Sophia.
    »Was für eine Art Gefallen?« fragte Marc sanft, um ihr zu helfen.
    »Das ist schwer zu sagen, und ich weiß, daß Sie diesen Monat schon viel gearbeitet haben. Es würde darum gehen, ein Loch in meinem Garten auszuheben.«
    »Schonungsloser Vorstoß an der Westfront«, murmelte Lucien.
    »Natürlich«, fuhr Sophia fort, »würde ich Sie bezahlen, wenn wir uns einig werden. Sagen wir... dreißigtausend Francs für Sie drei.«
    »Dreißigtausend Francs?« murmelte Marc. »Für ein Loch?«
    »Korruptionsversuch durch den Feind«, brummte Lucien unhörbar.
    Sophia war nicht wohl dabei. Aber trotzdem dachte sie sich, daß sie hier richtig sei. Daß sie fortfahren müsse.
    »Ja. Dreißigtausend Francs für ein Loch – und für Ihr Schweigen.«
    »Aber«, begann Marc, »Madame...«
    »Relivaux, Sophia Relivaux. Ich bin Ihre Nachbarin rechts.«
    »Nein«, sagte Mathias sanft. »Nein.«
    »Doch«, sagte Sophia. »Ich bin Ihre Nachbarin rechts.«
    »Das stimmt«, fuhr Mathias leise fort, »aber Sie sind nicht Sophia Relivaux. Sie sind die Frau von Monsieur Relivaux. Aber Sie sind Sophia Simeonidis.«
    Marc und Lucien sahen Mathias überrascht an. Sophia lächelte.
    »Lyrischer Sopran«, fuhr Mathias fort. »Manon Lescaut, Madame Butterfly, Aida, Desdemona, La Bohème, Elektra... Und seit sechs Jahren singen Sie nicht mehr. Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, wie geehrt ich mich fühle, Sie zur Nachbarin zu haben.«
    Mathias nickte leicht mit dem Kopf, ein angedeuteter Gruß. Sophia sah ihn an und dachte, daß sie hier wirklich richtig war. Sie seufzte erleichtert auf, ihre Augen wanderten durch den großen gefliesten, gipsverputzten Raum, der noch hallte, weil erst wenige Möbel darin standen. Die drei hohen Fenster, die auf den Garten hinausgingen, hatten Rundbogen. Das erinnerte ein wenig an das Refektorium eines Klosters. Durch eine niedrige Tür, ebenfalls mit Bogen, kam Lucien mit einem Holzlöffel und verschwand wieder. In einem Kloster kann man alles sagen, vor allem im Refektorium, wenn man nur leise spricht.
    »Da er schon alles gesagt hat, muß ich mich nicht mehr vorstellen«, sagte Sophia.
    »Aber wir«, erwiderte Marc, der beeindruckt war. »Das hier ist Mathias Delamarre...«
    »Nicht nötig«, unterbrach ihn Sophia. »Ich bin etwas beschämt, Sie bereits zu kennen, aber von einem Garten zum anderen hört man viel, ohne es zu wollen.« 
    »Ohne es zu wollen?« fragte Lucien.
    »Na ja, ein bißchen Willen war schon dabei, das stimmt. Ich habe zugesehen und zugehört, aufmerksam sogar. Das gebe ich zu.«
    Sophia machte eine Pause. Sie fragte sich, ob Mathias wohl auch klar war, daß sie ihn von dem kleinen Fenster aus gesehen hatte.
    »Ich habe Sie nicht ausspioniert. Sie haben mich interessiert. Ich dachte daran, daß ich Sie vielleicht brauche. Was würden Sie sagen, wenn in Ihrem Garten eines Morgens ein frischgepflanzter Baum stehen würde, ohne daß Sie irgend etwas damit zu tun hätten?«
    »Offengestanden«, sagte Lucien, »weiß ich nicht, ob uns das in unserem Garten auffallen würde.«
    »Darum geht es nicht«, bemerkte Marc. »Sie reden sicher von der kleinen Buche?«
    »So ist es«, erwiderte Sophia. »Eines Morgens war sie da. Ohne ein Wort. Ich weiß nicht, wer sie gepflanzt hat. Es ist kein Geschenk. Es war auch nicht der Gärtner.«
    »Was denkt Ihr Mann darüber?« fragte Marc.
    »Es
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