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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Lucien mitten im Wort abbrach. Er lächelte und ging hinter ihm hinunter.
    »Scheiße«, sagte Lucien, »du mußt dich doch nicht völlig ausziehen, um ein Regal aufzubauen! Was nützt dir das? Verdammt noch mal, ist dir denn nie kalt?«
    »Ich habe mich nicht völlig ausgezogen, ich habe meine Sandalen an«, antwortete Mathias bedächtig.
    »Du weißt ganz genau, daß die Sandalen nichts ändern. Und wenn es dir Vergnügen bereitet, hier auf Urmensch zu machen, solltest du dir vielleicht besser einhämmern, daß der prähistorische Mensch, was immer ich über ihn denke, sicherlich weder blöd noch primitiv genug war, um völlig nackt zu leben.«
    Mathias zuckte mit den Schultern.
    »Das weiß ich besser als du«, sagte er. »Es hat nichts mit dem Urmenschen zu tun.«
    »Womit dann?«
    »Mit mir. Kleidung engt mich ein. So fühle ich mich wohl. Was soll ich noch sagen? Ich verstehe nicht, wie dich das stören könnte, wenn ich auf meinem Stockwerk bin. Du brauchst nur zu klopfen, bevor du reinkommst. Was ist los? Etwas Dringendes?«
    Der Begriff der Dringlichkeit war bei Mathias nicht vorgesehen. Marc betrat lächelnd den Raum.
    »Wenn die Schlange einen nackten Menschen sieht«, sagte er, »bekommt sie Angst und flieht, so schnell sie kann; wenn sie den Menschen angekleidet sieht, wird sie ihn ohne die geringste Furcht angreifen. Zitat, 13. Jahrhundert.«
    »Da sind wir ein ganzes Stück weiter«, bemerkte Lucien.
    »Was ist los?« fragte Mathias erneut.
    »Nichts. Lucien hat gesehen, wie die Nachbarin von der Westfront sich in unsere Richtung auf den Weg gemacht hat. Und er hat beschlossen, nicht zu reagieren, wenn sie klingelt.«
    »Die Klingel ist noch nicht repariert«, sagte Mathias.
    »Schade, daß es nicht die Nachbarin von der Ostfront ist«, bemerkte Lucien. »Sie ist hübsch, die Nachbarin im Osten. Ich habe das Gefühl, daß man sich mit der Ostfront verbünden könnte.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich habe ein paar taktische Erkundungsoperationen durchgeführt. Der Osten ist interessanter und zugänglicher.«
    »Nun, es ist aber die im Westen«, sagte Marc bestimmt, »und ich sehe keinen Grund, weshalb wir nicht öffnen sollten. Ich mag sie, wir haben mal ein paar Worte gewechselt. Jedenfalls liegt es in unserem Interesse, von der Umgebung akzeptiert zu werden. Schlicht eine Frage der Strategie.«
    »Natürlich«, sagte Lucien. »Wenn du es unter diplomatischen Gesichtspunkten siehst.«
    »Sagen wir lieber unter Gesichtspunkten des Umgangs. Unter menschlichen Gesichtspunkten, wenn dir das lieber ist.«
    »Sie klopft«, bemerkte Mathias. »Ich geh runter und mach auf.«
    »Mathias!« rief Marc und hielt ihn zurück.
    »Was denn? Du warst doch gerade einverstanden.«
    Marc sah ihn an und machte eine kurze Handbewegung.
    »Oh, Mist«, sagte Mathias. »Was anzuziehen, ich brauche was anzuziehen.«
    »Genau das, Mathias. Du brauchst was anzuziehen.«
     
    Er schnappte sich einen Pullover und eine Hose, während Marc und Lucien hinuntergingen.
    »Ich habe ihm doch schon erklärt, daß Sandalen nicht ausreichen«, bemerkte Lucien.
    »Du hältst die Klappe«, sagte Marc zu Lucien.
    »Du weißt, daß es nicht leicht ist, die Klappe zu halten.«
    »Das ist richtig«, erwiderte Marc zustimmend. »Aber laß mich machen. Ich kenne die Nachbarin, ich mache auf.«
    »Woher kennst du sie?«
    »Ich hab’s schon gesagt, wir haben uns mal unterhalten. Über einen Baum.«
    »Was für einen Baum?«
    »Eine junge Buche.«

 
     
7
     
    Sophia saß sehr aufrecht und etwas betreten auf dem Stuhl, den man ihr angeboten hatte. Von ihrer Zeit in Griechenland abgesehen, hatte das Leben sie daran gewöhnt, Besucher zu empfangen oder Journalisten und Bewunderer abzuwehren, nicht aber daran, einfach bei anderen zu klingeln. Es mußte gut und gern zwanzig Jahre her sein, daß sie zuletzt bei irgend jemandem einfach so, ohne Ankündigung, geklopft hatte. Jetzt, wo sie in diesem Raum saß und die drei Typen um sie herumstanden, fragte sie sich, was sie wohl über diesen lästigen Vorstoß der Nachbarin denken mochten, die vorbeikam, um guten Tag zu sagen. Sowas machte man doch nicht mehr. Daher hatte sie das Bedürfnis, sich sofort zu erklären. Ob das mit ihnen ging, so wie sie sich das auf ihrem Beobachtungsposten im zweiten Stock vorgestellt hatte? Wenn man die Menschen aus der Nähe sieht, kann das anders sein. Marc betrachtete sie ohne Ungeduld, halb auf dem großen Holztisch sitzend, halb angelehnt, die schlanken Beine

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