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Die schöne Diva von Saint-Jacques

Die schöne Diva von Saint-Jacques

Titel: Die schöne Diva von Saint-Jacques
Autoren: Fred Vargas
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Einsamkeit.«
    »Dann sitzt er also echt in der Scheiße... Hättest du das nicht gleich sagen können?«
    Marc blieb ein paar Sekunden stehen. Er überlegte rasch.
    »Nun, das ändert alles!« begann er wieder. »Beeilung, Mathias. Erster Weltkrieg hin oder her, Augen zu und durch, treib ihn auf und überzeug ihn. Wir treffen uns alle zusammen mit dem Besitzer hier um sieben. Das muß heute abend unterschrieben werden. Beeilung, und streng dich an. Zu dritt in der Scheiße – warum sollten wir da kein vollständiges Desaster hinkriegen.«
    Sie nickten einander zu und trennten sich, Marc rannte, Mathias entfernte sich mit großen Schritten.

 
     
4
     
    Es war ihr erster Abend in der Baracke der Rue Chasle. Der Weltkriegshistoriker war aufgetaucht, hatte rasch Hände geschüttelt, war in den vier Stockwerken herumgewirbelt und dann wieder verschwunden.
    Nachdem die ersten Augenblicke der Erleichterung nach Unterzeichnung des Mietvertrages vorüber waren, spürte Marc wieder schlimmste Befürchtungen in sich aufsteigen. Dieser nervöse, bleichgesichtige Zeitgeschichtler, der da aufgetaucht war, mit braunen Haaren und einer Strähne, die ihm unaufhörlich über die Augen fiel, mit seiner eng gebundenen Krawatte, dem grauem Sakko und seinen abgelaufenen, aber englischen Schuhen machte ihm schwer Sorgen. Dieser Typ war – von der Katastrophe, die seine Spezialisierung auf den Weltkrieg bedeutete, mal ganz abgesehen – nicht zu fassen, er oszillierte zwischen Steifheit und großer Nachgiebigkeit, zwischen Schaumschlägerei und Ernsthaftigkeit, zwischen jovialer Ironie und hartnäckigem Zynismus und schien sich mit kurzen Anfällen von Wut und guter Laune abwechselnd von einem Extrem zum anderen zu bewegen. Besorgniserregend. Unmöglich zu wissen, wie sich das entwickeln würde. Mit einem Zeitgeschichtler in Krawatte zusammenzuleben war absolutes Neuland. Marc beobachtete Mathias, der mit besorgter Miene in einem leeren Raum herumlief. »Hast du ihn leicht überreden können?«
    »Ganz schnell. Er ist aufgestanden, hat seine Krawatte gerichtet, hat mir die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: ›Verbrüderung über den Gräben, da gibt’s keine Diskussion. Ich bin dein Mann.‹ Ein bißchen theatralisch. Auf dem Weg hat er mich gefragt, wer wir sind, was wir machen. Ich habe ein bißchen erzählt, von Ur- und Frühgeschichte, Plakaten, Mittelalter, Liebesromanen und Automotoren. Er hat ein Gesicht gezogen, vielleicht wegen dem Mittelalter. Aber er hat sich wieder gefangen, hat was über die soziale Verschmelzung im Schützengraben oder so gemurmelt, und das war’s.«
    »Und jetzt ist er verschwunden.«
    »Er hat seine Tasche dagelassen. Das ist kein schlechtes Zeichen.«
    Dann war der Erste-Weltkrieg-Typ mit einer Kiste voll Brennholz auf der Schulter wieder aufgetaucht. Marc hätte ihn nicht für so kräftig gehalten. Immerhin war er offenbar zu etwas nutze.
     
    So drängten sich die drei in der Scheiße sitzenden Forscher nach einem kurzen Abendessen, das sie auf den Knien eingenommen hatten, gemeinsam um ein großes Feuer. Der vor Dreck starrende Kamin war beeindruckend. »Das Feuer«, dozierte Lucien Devernois lächelnd, »ist ein gemeinsamer Ausgangspunkt. Ein bescheidener, aber doch gemeinsamer Ausgangspunkt. Oder eine mögliche Zufluchtsstätte, ganz nach Belieben. Abgesehen von der Scheiße ist das bislang unser einziger bekannter Bündnispunkt. Bündnisse dürfen nie vernachlässigt werden.«
    Lucien machte eine emphatische Geste. Marc und Mathias sahen ihn an, sie versuchten gar nicht erst, ihn zu verstehen, und wärmten ihre Hände am Feuer.
    »Ganz einfach«, fuhr Lucien lauter fort. »Unserem robusten Prähistoriker Mathias Delamarre ist das Feuer sowieso vertraut... Kleine Gruppen behaarter Menschen, die fröstelnd am Rand der Grotte um die wohltuende Flamme vereint sind, die die wilden Tiere fernhält, kurz, der Krieg um das Feuer.«
    »Der Krieg des Feuers«, bemerkte Mathias, »ist ein Titel...«
    »Völlig unwichtig!« unterbrach ihn Lucien. »Laß deine Bildung beiseite, die mir, was die Höhlen angeht, vollkommen egal ist, und laß dem prähistorischen Feuer seinen Ehrenplatz. Gehen wir weiter. Ich komme zu Marc Vandoosler, der sich damit abmüht, die mittelalterliche Bevölkerung nach ›Feuerstellen‹ zu zählen... Ein ganz schönes Problem für die Mediävisten. Man verstrickt sich leicht darin... Weiter. Wenn man die Leiter der Zeit hinaufklettert, so gelangt man schließlich zu mir, zu
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