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Die Schnapsstadt

Die Schnapsstadt

Titel: Die Schnapsstadt
Autoren: Mo Yan
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weitere Stadtväter sind um den Tisch versammelt. Yu Yichi und Li Yidou sind ebenfalls anwesend. Der weltläufige Yu Yichi macht eine glänzende Figur. Li Yidou dagegen scheint sich unbehaglich zu fühlen und weiß nicht so recht, was er mit sich anfangen soll.
    Parteisekretär Hu, der Mitte dreißig sein dürfte, hat einen Quadratschädel, große Augen, straff zurückgekämmtes Haar und ein ölig glänzendes Gesicht. Er wirkt selbstsicher und würdevoll, verfügt über einen gehobenen Wortschatz und trägt die Autorität seines Amtes wie einen Mantel um sich geschlungen.
    Nach drei Serien von Trinksprüchen steht Parteisekretär Hu auf, verkündet, dass man ihn noch bei einigen weiteren Arbeitsessen erwarte, und geht. Der Stellvertretende Abteilungsleiter Jin Gangzuan von der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit greift zum Glas, um die nächste Runde einzuläuten. Eine halbe Stunde später dreht sich Mo Yan der Kopf, und seine Lippen fühlen sich an, als seien sie aus Holz.
    Er steht auf und sagt: «Abteilungsleiter Jin … ich habe nicht geahnt, was für ein großartiger Mensch Sie sind ich habe Sie für ein … ein Kinder fressendes Ungeheuer gehalten …»
    Mo Yan bemerkt die kalten Schweißtropfen nicht, die Li Yidou auf der Stirn stehen.
    Einer der anwesenden Würdenträger erklärt: «Unser Abteilungsleiter Jin ist ein hervorragender Musiker. Er spielt mehrere Instrumente und singt auch noch. Sie sollten ihn einmal in der Rolle des gerechten Richters Bao hören. Er hat eine Stimme wie der berühmte Heldentenor Qiu Shengxu!»
    «Singen Sie uns doch etwas vor, Abteilungsleiter Jin», schlägt Mo Yan vor.
    «Wenn's sein muss», sagt der Abteilungsleiter.
    Er steht auf, räuspert sich und singt mit Donnerstimme, kein Crescendo oder Diminuendo verpassend, eine lange Arie, ohne rot anzulaufen oder nach Luft zu schnappen. Als er fertig ist, faltet er die Hände vor dem Bauch und sagt: «Bitte, lachen Sie mich nicht aus!»
    Mo Yan spendet begeistert Beifall.
    «Gestatten Sie eine Frage?», sagt der Stellvertretende Abteilungsleiter Jin Gangzuan. «Wozu soll es gut sein, in ein Schnapsfass zu pissen?»
    Mo Yan errötet und antwortet: «Die ausufernde Phantasie des Erzählers. Sie sollten so etwas nicht ernst nehmen.»
    Abteilungsleiter Jin sagt: «Ich trinke drei Schälchen, wenn Mo Yan ein paar Strophen von Mutig schreitet meine kleine Schwester voran singt.»
    «Ich bin kein großer Trinker», sagt Mo Yan, «und ein erbärmlicher Sänger.»
    «Ein Mann und Chinese, ein Held unter Helden, trinkt nicht, ohne zu singen. Kommen Sie schon, Meister Mo! Ich trinke als Erster.»
    Der Stellvertretende Abteilungsleiter stellt drei Trinkschälchen nebeneinander auf und füllt sie, dann beugt er den Kopf vor und atmet tief ein. Als er den Kopf wieder hebt, hält er alle drei Schälchen zwischen den Lippen. Er wirft den Kopf zurück, bis die Böden der Schälchen zum Himmel weisen. Dann beugt er den Kopf wieder vor und stellt die Schälchen eines neben dem anderen genau wieder da ab, wo sie waren.
    Ein angetrunkener Gast ruft: «Bravo! Eine dreifache Pflaumenblüte!»
    «Das, Meister Mo, ist Abteilungsleiter Jins Spezialität», erklärt Li Yidou.
    «Großartig!», sagt Mo Yan.
    «Jetzt sind Sie dran, Herr Mo», sagt der Stellvertretende Abteilungsleiter Jin.
    Man stellt drei Schälchen vor Mo Yan auf und füllt sie bis zum Rand.
    «Erwarten Sie keine dreifache Pflaumenblüte von mir», sagt Mo Yan.
    «Ein Schnaps nach dem anderen ist alles, was wir erwarten», sagt Jin Gangzuan großzügig. «Wir wollen Sie nicht in Verlegenheit bringen.»
    Nachdem er die drei Schälchen geschafft hat, ist Mo Yan richtig schwindlig.
    Die anderen Gäste fordern ihn auf, ein Lied zu singen.
    Mo Yan entdeckt, dass seine Zunge und seine Lippen nicht mehr synchron arbeiten und dass sein Mund ihm nicht mehr gehorcht.
    Der Stellvertretende Abteilungsleiter Jin Gangzuan sagt: «Schriftsteller Mo Yan! Wenn Sie jetzt etwas singen, egal was, trinke ich ein U-Boot auf Sie.»
    Also singt Mo Yan ihnen etwas vor. Es klingt grauenhaft.
    Trotzdem applaudieren alle.
    «Gut», sagt Jin Gangzuan, «jetzt trinke ich das U-Boot.»
    Erschenkt ein Glas Bier und dann ein Glas Schnaps ein und lässt dann das kleinere Glas vorsichtig in das größere gleiten.
    Dann hebt er das Bierglas, wirft den Kopf in den Nacken und leert beide Gläser gleichzeitig bis zum letzten Tropfen.
    In diesem Augenblick betritt eine Frau den Festsaal. Sie lacht laut: «Ha, ha, ha», und fragt:
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