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072 - Die Schlangengöttin

072 - Die Schlangengöttin

Titel: 072 - Die Schlangengöttin
Autoren: Dämonenkiller
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Vergangenheit
    Ich war der Unglücklichste aller Sterblichen. Nicht nur, daß ich mir eine Liebe verscherzt hatte, die sogar den Tod überdauerte; durch meine Schuld hatte sich meine Geliebte den Mächten des Bösen und der Finsternis ausgeliefert und war zu einem Dämon geworden.
    Ich sah übers Meer und hing trüben Gedanken nach. An jenem Augusttag des Jahres 1556 glaubte ich, nie wieder lachen zu können. War ich auch erst sechzehn Jahre alt, so hatte ich doch schon Liebe und Leid, Haß und Mord, Not und Tod im Übermaß erfahren. Und das nicht nur in einem Leben. Die Sonne brannte heiß herab. Ihr grelles Licht wurde vom Meer reflektiert, das still und glatt dalag wie ein Spiegel. Ich atmete den Geruch des Salzwassers, Teers und den Schweiß der zweihundert Galeassensklaven ein, ohne ihn wahrzunehmen. Auch das Knarren der sechzig Ruder, das monotone Trommeln des Taktgebers und die Zurufe der Aufseher drangen nicht in mein Bewußtsein vor.
    Da stand ich nun, Michele da Mosto, Sohn einer angesehenen und reichen Familie aus Venedig, und dachte an meinen Kummer und meine Verzweiflung.
    Ich erschrak, als jemand mir auf die Schulter schlug. Marino war es, mein Bruder, der Kapitän der Galeasse.
    „Michele, alter Trübsalbläser, komm mit an den Bug! Vor uns liegt eine Insel. Wir werden sie anlaufen, um unsere Trinkwasservorräte zu ergänzen und ein paar Stücke Wild zu schießen. Diese verdammte Flaute läßt uns einfach nicht vorankommen! Wir könnten längst in Kandia sein."
    Kandia, das war jene Insel, die auch Kreta, Krete oder Kirid genannt wurde. Seit dem vierten Kreuzzug stand sie unter venezianischer Herrschaft.
    Ich folgte Marino. Er war elf Jahre älter als ich, stämmig, breitschultrig und kräftig und strotzte vor Gesundheit, während ich von jeher lang, dünn und kränklich gewesen war. Sein Gesicht war gebräunt; sogar die Narbe, die von seinem linken Auge bis zum Kinn reichte, paßte zu ihm. Sie ließ ihn noch kühner und männlicher erscheinen.
    Während ich hinter ihm herlief, haßte ich meinen Bruder fast. Auch er hatte erfahren, daß es Schrecken gab, die noch schlimmer waren als der Tod; aber ihn vermochte das nicht zu erschüttern. Er schlief nachts ruhig und fest, so glaubte ich zumindest.
    Unsere Galeasse war vierzig Meter lang und besaß drei Masten. Die Segel waren jetzt gerefft, denn es wehte kein Lüftchen. Es gab zwei Ruderdecks; je drei Rudersklaven bedienten eines der schweren Ruder. Die Luken der Ruderdecks waren geöffnet. Stickige Luft und Schweißdunst strömten daraus hervor. An der Luv- und Leeseite der Galeasse standen je fünfzehn Geschütze.
    Marino blieb am Bug stehen, die Hand auf eine Kanone gestützt. Ich trat neben ihn und sah nun auch fern am Horizont die Insel. Sie war ein dunkler Streifen.
    „Was für eine Insel ist das?" fragte ich Marino.
    Er hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Irgendein namenloses Eiland. Auf der Karte ist sie nicht eingezeichnet." Marino winkte einen Maat herbei. „Die Rudersklaven sollen wissen, daß sie bald eine Verschnaufpause bekommen. Wir werden über Nacht vor der Insel ankern."
    Der braungebrannte Maat mit dem goldenen Ring im linken Ohr nickte und entfernte sich.
    Marino und ich sahen der Insel entgegen. Wir waren auf dem Weg nach Kandia, wo ich nach dem Willen meiner Eltern die schrecklichen Geschehnisse, die sich in Venedig und auf der Insel Torcello zugetragen hatten, vergessen sollte.
    Das Eiland vor uns rückte näher. Schon konnte man die Umrisse erkennen, den Berg im Innern mit der üppigen grünen Vegetation.
    Marino lief auf die Brücke zurück, um die Kommandos zu geben. Ich blieb am Bug stehen.
    Als wir uns der Insel näherten, begann mein Herz immer stärker zu pochen. Ich hatte plötzlich Angst und den Wunsch, daß wir diese Insel nicht anlaufen sollten. Sie erschien mir gefährlich. Aber ich schüttelte diese Ängste schnell ab und sagte mir, daß meine Nerven bei den überstandenen Aufregungen gelitten hatten; übermäßig gut war meine physische und psychische Konstitution ohnehin nie gewesen.
    Die Gentile Bellini glitt in eine geschützte Bucht. Ich konnte den Geruch der Insel riechen. Es war ein ganz eigenartiger Duft nach Dschungel und Moschus. Marino gab Kommandos, und Matrosen ließen ein Beiboot aufs Wasser hinab.
    Ich drehte mich um und schaute zu meinem Bruder hinüber. Wie ein Scherenschnitt hob sich Marino mit seinem schwarzen Hemd, den dunklen Locken und dem breiten Kopf gegen den hellen Himmel ab. Ein
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