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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen
Autoren: Ulrike Kolb
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sie diskret berührt, ihr die Hand auf den Arm gelegt, sie zur Tür geleitet, hätte herausgefunden, wie sie zu dem ›von Bülow‹ kommt, und vor allem hätte er mit ein paar Bemerkungen ihre Neugier geweckt, hätte ihr einen guten Witz erzählt, etwas Sprühendes, Übermütiges. Stattdessen liegt er erschöpft auf dem Bett, ein Schwächling in embryonaler Haltung, ein Köter, ein Geschlagener.
    Frau von Bülow also, eine somalische oder äthiopische Schönheit, die ihm, bevor sie das Zimmer verließ, das heißt, bevor er aufgesprungen war, die Hand auf die Schulter gelegt hat. Oder bildet er sich das jetzt nur ein? Hat sie ihm wirklich die Hand auf die Schulter gelegt? Er versucht, sich die Szene ins Gedächtnis zurückzuholen, wie sie mit dem unausgesprochenen ›Schon gut‹ den Geldschein in Empfang nimmt, wie sie ihm … ja was nun? Über die Schulter streicht oder gar über die Stirn? Ja, auch das könnte sein. In diesem Moment spürt er ihre Hand tatsächlich an verschiedenen Stellen seines Gesichts zugleich, aber er kann sich nicht wirklich erinnern, ob das, was er spürt, Einbildung ist oder … der soeben vergangene Moment ist verschwunden. Was die junge Frau auch immer getan oder gesagt haben mag, Rottmann ist sich keiner Geste, keines Tons mehr sicher. Er ist ganz verwirrt.
    Der zerknüllte Ausdruck der Homepage des Schlafpapstes und das Programm für das Wochenende liegen vor ihm auf dem Bett. Er ist froh, dass bis zur Begrüßung und dem ersten Vortrag noch Zeit ist, so kann er sich wenigstens etwas entspannen. Er dreht sich auf den Rücken und lässt seinen Blick durch den Raum schweifen.
    Es ist ein Eckzimmer, belichtet von Westen und Süden, so wie Rottmann es liebt. Räume, in die von zwei oder gar drei Seiten Tageslicht fällt, sind für ihn immer ein Genuss. Die hohen Fenster werden von naturfarbenen, großzügig auf den Boden fallenden Baumwollvorhängen umrahmt. Ansonsten besteht die Möblierung nur aus dem Nötigsten – ein alter Tisch, zwei einfache Holzstühle und, zu seiner Enttäuschung, kein Fernseher. Später stellt er fest, dass die Abmessung des Duschbads etwa der Größe eines Schranks entspricht und er sich darin kaum bewegen kann. Er denkt darüber nach, ob er als Kind schon einmal in diesem Zimmer gewesen sein könnte. Aber es gleiten nur dunkle, mit Möbeln vollgestopfte Räume durch seine Vorstellung, nichts, was mit diesem lichten Raum eine Ähnlichkeit hat.

Margot kommt an
    Nach ihrer katastrophalen Autobahnfahrt hat Margot den Wagen an der Raststätte stehen lassen. Sie wagte nicht, selbst weiterzufahren. Vor Monaten hatte sie schon einmal eine Sehstörung beim Fahren erlebt, aber die war vorübergehend, ein paar plötzliche Undeutlichkeiten, die sie ihrer allgemeinen Nervosität zuschob. Dass ihre Augen aber so verrücktspielen wie heute, ist neu. Ich bin völlig erledigt, denkt sie, völlig erledigt. Sie murmelt es wie ein Mantra: völlig erledigt, völlig …
    Die Aufregungen der letzten Monate, die Nachricht eines möglicherweise bösartigen Tumors unter einer Rippe, Untersuchungen beim Onkologen, das Eingeschlossensein in einer dieser unerträglichen Röhren, Arbeiten, die sie lange aufgeschoben und am Ende unter Hochdruck zu Ende hat bringen müssen, ein Artikel über Schaufensterpuppen, der sie viel mehr Zeit kostete als gedacht, vergessene Verabredungen, Vorwürfe ihrer Tochter von wegen ›egozentrisch und nicht erreichbar‹ … immerhin sind die Laborergebnisse bisher nicht beunruhigend. Ein Test steht noch aus, aber der Arzt hat ihr Mut gemacht. Danach hat sie ein paar wichtige Dinge in ihrem Leben in Ordnung gebracht, auch finanziell, sodass sie sich die siebzig Euro für das Taxi von der Raststätte bis zum Gutshaus leisten konnte. Sie gönnt sich dieses Seminar, um das größte Problem, das sie hat, in Angriff zu nehmen – die Schlaflosigkeit.
    Mit ihrer großen roten Ledertasche über der Schulter eilt sie in die Empfangshalle. Von Andrang kann nicht die Rede sein. Nur da und dort jemand in einem Sessel oder draußen auf der Terrasse. Die Formalitäten sind schnell erledigt, die von Fürsorge erfüllte Stimme Frau von Bülows auf dem Weg hinauf zum Dachzimmer ist eine einzige Ankündigung von Ruhe. Margot kennt die Stimme vom Telefon, es ist die, die sich immer
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