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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt
Autoren: Andreas Steiner
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‚Ich werde noch wahnsinnig!’ hämmerte es in seinem Kopf.
    Dann fiel sein Blick wieder auf den Computermonitor. Grauenhafter Mist, den er da geschrieben hatte. Die Erzählung, an der er hatte arbeiten wollen, war heute nur um eine halbe Seite gewachsen, und er war völlig unzufrieden. Doch ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass gleich etwas Abwechslung kommen würde.
    Just an diesem Tag hatte sich Robin angekündigt. Robin war ein ehemaliger Schulkamerad, den er seit Jahren nicht gesehen hatte. Gestern hatte das Telefon geläutet, Berthold war förmlich darauf zu gehechtet, aber es war – natürlich! - nicht Margit. Stattdessen eine zunächst fremd anmutende, hohe gequetschte Stimme von offenkundig glänzender Laune:
    „Halloooho ...! Wir sind zu Hauuuuuse?!“
    „Äh ... ja ...?“
    „Hier ist Fraaaaaauendorff! Robin Frauendorff!“
    Kichern am Ende der Leitung.
    Berthold war maßlos überrascht. Er hatte noch den letzten Streit in Erinnerung. Seitdem war absolute Funkstelle gewesen. Robin hatte sich von den vergangenen Kränkungen offenbar erholt.
    „Robin! Na so was! Habe ja ewig nichts von dir gehört.“
    „Dachte ich mir auch seit ’ner Weile. Wollt’ mich mal wieder melden.“
    „Schön. Was treibst du so?“ Berthold hätte heute wahrhaftig jede Art von Abwechslung begrüßt.
    „Ach, so alles mögliche. Mache gerade Zivildienst. Krankenpfleger. Ist aber nichts für mich. Fürchterliche Idioten dort. Die geballte Inkompetenz. Aber ich kontrastiere dies derzeit durch die Muse. Ich hab’ gerade gute Kontakte geknüpft zu Professor Grabiansky, der setzt sich sehr für mich ein, weil ich im künstlerischen Bereich weiterkommen möchte.“
    Ach ja. Berthold erinnerte sich flüchtig, dass Robin immer einen starken künstlerischen Ehrgeiz hatte. Nur dass seine Werke, die er im Kunstunterricht ablieferte, stets im Verdacht standen, von seiner Mutter gemalt worden zu sein.
    „Aber meine eigentlichen Pläne liegen noch ganz woanders“, fuhr Robin fort. „Lass’ uns doch mal über alles reflektieren. Weißt du, du warst für mich immer eine besonders kompetente Persönlichkeit bezüglich der Muse.“
    Immer noch diese fürchterlich gestelzte, affektierte Wortwahl. Das war schon früher in der Schule so entnervend gewesen. Robin musste schon damals das halbe Fremdwörterlexikon auswendig gelernt haben.
    Es hatte Zeiten gegeben, in denen Berthold niemals im Traum daran gedacht hätte, ausgerechnet mit Robin seine Freizeit zu verbringen. Aber jetzt sehnte er sich nach Ablenkung. Und Robin hatte einen entscheidenden Bonus vorzuweisen, nämlich eine gewisse Vertrautheit. Was für eine lange gemeinsame Zeit war es gewesen! Grundschule, Kommunionsunterricht, Fußballverein, Gymnasium ... Doch immer wieder hatte sich die freundschaftliche Nähe zur Feindseligkeit gewandelt, es hatte solche Streitereien gegeben, bei denen Robin ungemein überheblich und beleidigend wurde und sich dann gekränkt zurückgezogen hatte. Das letzte, an das sich Berthold erinnerte, war, dass Robin ein ziemlich mieses Abitur gemacht hatte.
    „Hast du Lust, mal vorbeizukommen?“ fragte Berthold unvermittelt. Er sehnte sich nach Gesellschaft.
    „Sehr gerne!“ antwortete Robin eifrig. „Mal sehen ... mein Terminkalender ist zwar ziemlich gefüllt, aber ...“
    Und damit wurde das Treffen für den nächsten Abend festgelegt.

    Berthold merkte auf einmal, dass er hungrig war. Nach einigem Überlegen stellte er fest, dass er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, was bei ihm immer vorkam, wenn er Sorgen hatte. Er ging in die Küche und schmierte sich ein Brot mit der guten Ardenner Leberpastete, die er gestern gekauft hatte. Er wollte sich gerade an den Esstisch setzen, als es klingelte. Fast eine dreiviertel Stunde zu früh! Das passte zu Robin. Dieses Eifrige, überbetont Motivierte, das hatte er schon immer gehabt. Berthold eilte, bereits ganz in Erinnerungen, an die Tür.
    Robin hatte sich fast überhaupt nicht verändert. Etwas dicker, massiger war er geworden, aber sonst war es, als sei die Zeit stehengeblieben. Die gleiche Stimme, die gleiche auffällige Kleidung. Heute trug er über einem schwarzen Hemd einen weißen Blazer, dazu eine karierte Hose und einige dicke Ringe an den Fingern. Ein kleiner Brillant blitzte in seinem Ohrläppchen, und sein Haar war mit reichlich Gel zu einer nostalgischen Tolle drapiert. Ansonsten war er, bis auf die langen, modischen Koteletten glatt rasiert und hatte eine ausgesprochen gesunde,
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