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Die schlafende Armee

Die schlafende Armee

Titel: Die schlafende Armee
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Stirn erschien plötzlich ein Netz feiner, glitzernder Schweißtropfen, obwohl es in der kleinen Überwachungszentrale eher zu kalt als zu warm war. »Ich fürchte«, sagte er leise, »wir bekommen Ärger.«
     
    *
     
    Die Treppe führte in engen Windungen in die Tiefe, wie ein Schneckenhaus aus Beton, und Charity hatte schon nach wenigen Dutzend Stufen aufgehört, sie zu zählen. Es gab Licht hier unten; ein rotes, blasses Licht, das alle Bewegungen ruckhaft und abgehackt erscheinen ließ und das aus einer Anzahl winziger, von rostigen Drahtkörben geschützter Lampen unter der Decke stammte. Sie hatten eine kleine, völlig zerstörte Schleusenkammer durchquert, in der irgend etwas explodiert sein mußte. Die Wände waren geschwärzt, und alles, was nicht aus Beton gewesen war, war bis zur Unkenntlichkeit verschmort oder verkohlt gewesen. Aber ihr war trotzdem aufgefallen, daß die Tür am Ende dieser kleinen Schleusenkammer ungewöhnlich dick und massiv gewesen war: eine Platte aus fast zollstarkem SpezialStahl, die selbst einem Schuß aus ihren Lasern standgehalten hätte. Und doch hatte irgend etwas die Tür aus den Angeln gerissen. Die tiefen, schimmernden Kratzer in dem gehärteten Stahl erinnerten Charity auf unangenehme Weise an die Spuren gewaltiger Krallen oder Zähne. Und wem immer diese Krallen oder Zähne auch gehörten - keiner von ihnen verspürte große Lust, diesem Wesen zu begegnen. Aber so wie es aussah, lebte hier unten nichts und niemand mehr. Auf dem gesprungenen Beton der Stufen lag eine fast fünf Zentimeter dicke Staubschicht, die unter ihren Schritten aufwirbelte. Charity schätzte, daß sie sich mittlerweile fünfzig Meter tief in die Erde hinab bewegt hatten. Manchmal tasteten sie sich durch Bereiche vollkommener Finsternis, denn nicht alle Lampen waren noch intakt. Und einmal hatten sie über etwas hinwegklettern müssen, das bis zur Unkenntlichkeit verschrumpelt und mumifiziert gewesen war. Kein Mensch, aber auch kein Lebewesen, wie es ihnen bekannt war. Nach weiteren fünfzig Metern erreichten sie endlich das Ende der Treppe. Auch hier war eine Tür zertrümmert worden. Charity blieb unwillkürlich stehen, aber Kyle deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Staubschicht auf dem Boden und schüttelte beruhigend den Kopf. Der graue Staubteppich war unberührt. Das rote Licht begleitete sie auch auf die andere Seite der Tür. Sie betraten einen breiten, halbrunden Stollen, dessen Wände aus nacktem Beton bestanden. Unter der Decke liefen dicke, isolierte Rohre und straff gespannte Kabel entlang, und in einiger Entfernung konnte Charity eine halbrunde Metalltür erkennen, die ebenfalls mit brutaler Gewalt aus den Angeln gerissen worden war. »Was ist das hier?« flüsterte Skudder. Seine Stimme hallte als unheimlich verzerrtes, dunkles Echo aus dem leeren Gang zurück, und Charity machte instinktiv eine Handbewegung, leiser zu sprechen. »Keine Ahnung«, antwortete sie. »Aber zur U-Bahn gehört dieser Gang bestimmt nicht mehr.« Sie nahm ihre Waffe von der Schulter und entsicherte sie. Ihre Schritte wirbelten den Staub auf und erzeugten unheimliche Echos an den unsichtbaren Wänden vor ihnen. Und wieder gaukelten Charitys überreizte Nerven ihr Bewegungen vor, die nicht da waren. Sie versuchte vergeblich, sich einzureden, daß Kyle sie frühzeitig vor jeder Gefahr warnen würde. Sie wußte, wie ungeheuer scharf die Sinne des Megamannes waren. Aber je weiter sie in diese unheimliche, unterirdische Welt vordrangen, desto intensiver wurde das Gefühl in Charity, aus unsichtbaren, gierigen Augen angestarrt, belauert zu werden. Und ein Blick in die Gesichter Nets und Skudders bewies ihr, daß sie mit diesem Gefühl nicht allein war. Nach einer Weile erreichten sie eine Gabelung. Charity wollte sich nach links wenden. Kyle hob die Hand, lauschte einen Moment mit geschlossenen Augen und schüttelte dann den Kopf. »Dort entlang!« sagte er, während er in die andere Richtung deutete. Er machte keine Anstalten, seine Worte zu erklären, und die anderen folgten ihm schweigend. Dieser Gang war niedriger; unter seiner Decke zog sich eine endlos lange Doppelreihe großer Leuchtstoffröhren entlang, von denen einige noch brannten und kleine, ovale Inseln weißer Helligkeit in dem düsterroten Dunkelkammerlicht erschufen, das hier unten herrschte. Zudem gab es hier zahlreiche Türen, die an beiden Seiten abzweigten. Charity blieb ein paarmal stehen und versuchte, eine davon zu
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