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Die schlafende Armee

Die schlafende Armee

Titel: Die schlafende Armee
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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öffnen, aber sie waren entweder verschlossen oder die Räume dahinter waren leer oder vollkommen verwüstet. Aber trotz der unübersehbaren Spuren von Zerstörung, auf die sie auf Schritt und Tritt stießen, fiel Charity auf, daß hier unten anscheinend keine Kämpfe stattgefunden hatten. Die Verwüstungen, die sie sahen, waren entweder von Tieren angerichtet worden oder einfach der langen Zeit zuzuschreiben, die vergangen war. Wer immer diese Anlage erschaffen hatte, hatte den Invasoren entweder keinen Widerstand geleistet oder Zeit genug gehabt, sich in aller Ruhe zurückzuziehen. Sie schätzte, daß sie sich ungefähr eine Meile weit in den Tunnel hineinbewegt hatten, als Kyle plötzlich erneut stehenblieb und warnend die Hand hob. »Was ist los?« fragte Charity alarmiert. Sie trat neben den Megamann und richtete den Lauf ihrer Waffe in die rötliche Dämmerung vor ihnen. Aus eng zusammengepreßten Augen versuchte sie, irgend etwas zu erkennen. Aber alles, was sie sah, waren rote Schatten. »Ich ... weiß es nicht«, sagte Kyle zögernd. Plötzlich wirkte er sonderbar angespannt. »Aber irgend etwas ist dort.« Auch Skudder trat neben ihn und richtete seine Waffe auf den Gang, während Net einen Schritt zurückwich und sich schützend vor Helen und den Zwerg stellte. Eine Zeitlang lauschten Charity und Skudder gebannt,  ohne irgend etwas anderes als das Geräusch ihrer eigenen Atemzüge und das schnelle Hämmern ihrer Herzen zu hören, und schließlich war es wieder Kyle, der mit einem erschrockenen Laut zusammenfuhr und einen Schritt zurückprallte. Und noch bevor Charity ihn erneut fragen konnte, was er gehört hatte, sah sie es selbst: Inmitten des roten Lichtes vor ihnen bewegte sich etwas. Es war zu klein und bewegte sich zu schnell, als daß sie es genau identifizieren konnte, aber das rasende Huschen wiederholte sich, kam näher, verschwand wieder - und dann unterdrückte sie nur mit Mühe einen erschrockenen Aufschrei. Vor ihnen bewegte sich ein graubraunes, massiges Fellbündel über den Gang. Dunkle, von einer beunruhigenden Intelligenz erfüllte Augen starrten Charity und die anderen über einer spitzen Schnauze hinweg voller Gier an, und der fast meterlange, nackte Schwanz der Bestie peitschte nervös wie der einer angreifenden Katze. »Ratten!« rief Helen entsetzt. »Großer Gott! Das sind ... Ratten!« Charity fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen, die plötzlich trocken und spröde zu sein schienen, hob aber trotzdem das Lasergewehr und visierte den riesigen Nager durch die Zieloptik an. Das Tier war eindeutig eine Ratte - aber es war fünfmal so groß, fünfmal so stark und mindestens fünfzigmal so häßlich wie jede Ratte, die Charity früher zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte solche Tiere erst einmal gesehen; in der leeren Pipeline, die die Bewohner der Freien Zone von Paris kurzerhand zu einer Autobahn umfunktioniert hatten. Die Ratte war stehengeblieben und starrte sie an, und für eine endlose Sekunde hatte Charity das entsetzliche Gefühl, daß die Ratte genau spürte, daß sie durch das Zielfernrohr hindurch beobachtet wurde, und diesen Blick voller Zorn erwiderte. Vorsichtig, sehr langsam, um das Tier nicht durch eine unbedachte Bewegung zum Angriff zu reizen, senkte sie das Gewehr und blickte es mit bloßen Augen an. Hinter der ersten Ratte tauchten weitere Nager aus der Dunkelheit auf: eine ganze Rattenarmee. »Zurück!« flüsterte sie. »Und bewegt euch ganz langsam.« Skudder nickte nervös; er senkte zwar sein Gewehr, hielt aber den Finger am Abzug. Auch Kyle widersprach nicht, sondern wich mit kleinen, sehr vorsichtigen Schritten zurück. Die Ratten folgten ihnen. Charity schätzte allein die Zahl derer, die sie sehen konnten, auf mindestens fünfzig oder sechzig - und in der roten Dunkelheit mochten sich noch Hunderte verbergen. Die Stille war längst dem unaufhörlichen Kratzen harter Pfoten auf Beton und den leisen, hohen Pfiffen gewichen, mit denen sich die Tiere verständigten. Charity fragte sich, ob sie wirklich miteinander sprachen. »Helen!« sagte sie. »Sie kennen diese Tiere. Werden sie uns angreifen?« »Ich weiß es nicht«, flüsterte Helen stockend. Ihre Stimme zitterte vor Furcht. »Wenn sie sehr hungrig sind oder sich angegriffen fühlen...« Charity sah aus den Augenwinkeln, wie Kyle ganz langsam die Hand zum Gürtel hob und eine kleine, sonderbar plump aussehende Waffe zog. »Um Gottes willen - nein!« flüsterte sie
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