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Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
Autoren: Nina Hunter
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öffnete die Fotos des Tatorts. Seit einem knappen Jahr fotografierte sie nun Tatorte und Mordschauplätze, und seitdem hatte sie einiges gesehen, was sie lieber wieder vergessen hätte, aber der Mord in dieser Nacht war das Schlimmste, was sie bisher hatte fotografieren müssen. Die Opfer waren ein Mann und eine Frau gewesen – die offenbar als Paar zusammen gewesen waren, denn beide waren auf den Fotos nackt. Man hatte sie in einer Suite im Hotel King’s Wark gefunden, einer noblen Adresse im Stadtzentrum Edinburghs.
    Zoe klickte sich durch die Detailbilder des Raumes – Blut an den Lampenschirmen, Blut an den Wänden, Blut auf dem Boden. Sie zögerte kurz, als sie die Bilder betrachtete. Jetzt mussten die Bilder vom Bett kommen.
    Zoe fuhr sich durch das halblange rotbraune Haar und stand auf. Sie atmete tief ein und klickte dann weiter, als das Foto mit dem Bett auf dem kleinen Bildschirm auftauchte. Früher war die Bettwäsche einmal weiß gewesen, aber jetzt war sie rot. Die Frau lag darauf und wirkte fast friedlich. Nur ihr Hals wies einen unnatürlichen Winkel auf und störte das Bild. Sie hatte die Augen geschlossen, ihr Gesicht zeigte nur den Eindruck leichter Überraschung.
    Der Mann sah ganz anders aus. Er war an der Wand am Kopfende des Bettes zusammengesunken. Sein Gesicht zeigte reines, blankes Entsetzen, und als Zoe ihren Blick tiefer schweifen ließ, konnte sie sich denken, wieso. Anders als bei der Frau hatte man ihm nicht einfach das Genick gebrochen. Man hatte ihm das Herz herausgerissen. Der Polizist, der Zoe gerufen hatte, hatte ihr erzählt, dass das Herz verschwunden war. Der Täter hatte es wahrscheinlich mitgenommen.
    Sie trank einen weiteren Schluck Whisky.
    Zoe musterte den toten Mann – er war im Leben sicher kräftig und auch nicht unattraktiv gewesen. Wer war so stark gewesen, dass er ihm einfach das Herz hatte herausreißen können? Die Wunde machte nicht den Eindruck, als wäre jemand fein säuberlich mit einem Skalpell oder einem Messer vorgegangen. Im Gegenteil. Zoe sah vielmehr zerbrochene Knochen und andere Dinge, auf die sie lieber verzichtet hätte. Das war kein sauberer Schnitt gewesen – hier hatte brachiale Gewalt geherrscht.
    Sie sah sich die restlichen Bilder an, aber ihre Gedanken blieben nach wie vor bei dem Foto der Herzwunde hängen. Zoe trank den Rest des Whiskys mit einem Zug aus und schüttelte sich leicht, als die Wirkung des Alkohols einsetzte. Er brannte heiß in ihrem Magen und wärmte sie von innen.
    Zoe betrachtete das Bild des toten Mannes genauer. Irgendetwas störte sie an dieser Wunde, und sie wusste nicht, was. Zoe berührte die Maus und zoomte näher an die Wunde. Dann sah sie, was sie schon vorher beschäftigt hatte: Da war etwas in der Haut des Mannes zu sehen, knapp über der Stelle, an der früher sein Herz gesessen hatte. Sie vergrößerte das Bild noch einmal und kniff die Augen zusammen. Das sah aus wie eine Zeichnung. Kein Tattoo. Vielleicht ein Brandzeichen?
    Zoe nahm einen Notizblock und zeichnete die Strichfolge so genau wie möglich ab, ehe sie sich wieder das Bild ansah. Sie zoomte in eine größere Perspektive zurück. Etwas an dem Anblick ließ sie nicht los, und es war nicht nur die Zeichnung oder die grauenhaften Umstände der Tat – plötzlich zuckte sie zurück, als sie es erkannte: Es waren die Augen des Mannes. Das Weiße war vollkommen verschwunden und durch ebenso dunkles Rot wie das Rot auf dem Bett ersetzt. Die gesamte Iris war schwarz. War das eine Folge der brutalen Behandlung des Opfers?
    Nachdenklich biss sie sich auf die Unterlippe. An diesem Mord war etwas äußerst ungewöhnlich, und es wurde Zeit, etwas von dem » Glücksbringer « einzusetzen, von dem Adrian so gerne sprach.
    Sie zog aus der Seitentasche ihrer Kameratasche ein kleines durchsichtiges Plastiktütchen. Darin befand sich ein zusammengeknülltes Papiertuch mit einem roten Fleck in der Mitte. Es war nicht schwer gewesen, unbemerkt etwas Blut aus dem King’s Wark Zimmer mitzunehmen. Zoe legte ihre Kamera und die Tasche auf den Tisch neben den Laptop und griff nach der Whiskyflasche. Das hier würde äußerst unangenehm werden, aber die Zeit mit Adrian hatte wohl auf sie abgefärbt – Zoe wusste, dass sie eine Gabe besaß, die helfen konnte, solche Verbrechen aufzuklären. Und genau deshalb musste sie sie auch einsetzen.
    Zoe nahm einen Schluck, diesmal direkt aus der Flasche, und legte den Kopf in den Nacken. Sie versuchte, den scharfen Alkohol nicht in
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