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Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Die Schattenseherin: Roman (German Edition)

Titel: Die Schattenseherin: Roman (German Edition)
Autoren: Nina Hunter
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die Kehle laufen zu lassen, und streckte die Zungenspitze aus. Sie leckte über den Blutfleck auf dem Taschentuch und legte sich dann auf das Sofa. Zoe schloss die Augen und konnte förmlich spüren, wie die mikroskopisch kleine Menge Blut sich im Alkohol verteilte. Noch einmal atmete sie tief durch die Nase ein und schluckte. Die Wirkung des Blut-Alkohol-Gemischs setzte ein. Wie auch damals, vor 17 Jahren, war das Einsetzen der Gabe überwältigend und schaltete alles andere aus. Zoe wurde rücklings in die Polster gepresst, und in ihren Ohren brüllte eine raue Stimme einen Namen: »Ezekiel!«
    Zoe schlug die Augen auf. Sie brannten. Als sie sich umsah, erkannte sie das Zimmer aus dem King’s Wark wieder. Die Perspektive hatte sich verändert – diesmal sah sie es auf dem Rücken liegend und vom Bett aus. Es war warm um sie herum, nass und klebrig. Sie musste nicht hinsehen, um zu sehen, dass es am Blut lag. Ihrem Blut, das aus ihrem Körper rann und das teure Bett tränkte. Sie war ein Mann. Sie war das Opfer namens Ezekiel, und sie starb.
    Mit der Erkenntnis kam auch der Schmerz. Er raste durch ihren Körper wie Glut und ballte sich schließlich in ihrer Brust zusammen. Zoe versuchte, sich zu konzentrieren. Ihr blieb nicht viel Zeit, und sie musste das Gesicht des Mörders sehen, ehe die Verbindung abriss. Aus den Augenwinkeln sah sie eine Gestalt am Fenster stehen. Stöhnend wandte Zoe den Kopf, aber es nützte nichts; die Person, die sich noch im Zimmer befand, stand so, dass sie sich gegen das Licht der Straßenlaternen nur als eine dunkle, breitschultrige Silhouette abhob, die seelenruhig dabei zusah, wie Zoe-Ezekiel sich in Schmerzen auf dem Bett wand.
    »Wehr dich nicht, Ezekiel«, sagte eine dunkle Stimme. »Es ist zu spät. Dein Herz ist fort und die Rune gebrochen. Was dir jetzt noch bleibt, ist, zu sterben.«
    Zoe wollte antworten, wollte aufschreien, aber es war zu spät. Sie wurde aus Ezekiels Körper hinauskatapultiert und in ihren eigenen zurückgeworfen. Panisch richtete sie sich auf, die Augen weit aufgerissen, und schnappte nach Luft. Ihre Hand flog zu ihrer linken Brust und sie tastete darüber, um sicherzugehen, dass sie unverletzt war und ihr Herz an genau der Stelle schlug, an der es das schon seit dreiundzwanzig Jahren getan hatte.
    Zehn Sekunden, das war alles, was sie bekommen konnte. Zehn Sekunden vor dem Tod des Opfers, wenn sie nur etwas Blut kosten konnte. Das war es, was aus Zoe Samuel den Glücksbringer des Morddezernates machte. Das war es, was so oft dabei geholfen hatte, ungelöste Mordfälle aufzuklären. Zoes Gabe und ihre Verantwortung.
    Sie fuhr sich durch ihre offenen Haare und spürte Schweiß auf der Stirn. Die Rückkehr war jedes Mal schmerzhaft und verwirrend, aber diesmal hatte sie das erste Mal ernsthaft Angst gehabt. Zoe stand auf und rieb sich über die Augen. Es war wohl das Beste, ins Bett zu gehen, und –
    Das Telefon klingelte, und Zoe schrie erschrocken auf. Für einen Moment verharrte sie stocksteif, ehe ein neuerliches Klingeln sie endlich wieder zur Besinnung brachte. Aber wer rief schon um drei Uhr nachts an?!
    Mit klammen Fingern nahm sie den Telefonhörer ab und murmelte »Samuel« in den Hörer.
    »Zoe, wo bleiben meine Fotos?!«, hallte ihr Adrians Stimme entgegen. Er klang für diese frühe Morgenstunde aufgeräumt.
    »Verdammt, Adrian, du sollst so spät doch nicht mehr anrufen!«, knurrte Zoe in den Hörer und ließ sich auf das Sofa zurücksinken.
    »Ich hätte dir auch eine Mail geschrieben, Charm, aber ich habe gerade nichts zu tun und ich weiß genau, dass du noch wach bist, weil die Jungs dich zum Wark beordert hatten.«
    » Charm « kam von Lucky Charm – Glücksbringer. Zoes gereizte Stimmung besänftigte sich etwas, angesichts des alten Kosenamens. Adrian hatte sie früher immer so genannt, und mittlerweile taten es auch einige seiner Kollegen. Es war wie ein Reflex – Zoe konnte nichts dagegen tun, sie beruhigte sich immer fast augenblicklich, wenn sie den Namen hörte. »Und jetzt hast du nichts Besseres zu tun, als mich vom Schlafen abzuhalten und Süßholz zu raspeln?«
    »Genau das.« Adrians Grinsen war förmlich durch das Telefon zu hören. »Außerdem wollte ich dich bitten, mir die Fotos jetzt schon zu schicken, damit ich sie den Jungs gleich weiterleiten kann.«
    »Und du dir schon einmal die Zeit vertreiben kannst«, murmelte sie und biss sich gleich auf die Zunge. »Was bekomme ich dafür, dass ich dir diese riesigen Dateien
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