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Die Schattenfrau

Die Schattenfrau

Titel: Die Schattenfrau
Autoren: Ake Edwardson
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Winter las zweimal, ohne es richtig zu begreifen. Er hörte Ringmar keuchen und dann Halders, dessen Magen rebellierte und der sich auf die Türschwelle erbrach. Winter las die Worte noch einmal und schloss die Augen. Stimmen drangen von unten aus dem Erdgeschoss herauf. Er sah Gestalten im Dunkel vor dem Zimmer, Aneta Djanali, die sich über Halders beugte, der der Länge nach auf dem Boden lag, quer über der Türschwelle mit dem Kopf draußen im Flur. Er hörte Ringmar, der sich mit jemandem besprach. Beim zweiten Mal verstand er die Worte: »Schick uns Verstärkung und Maschinen. Wir müssen graben. Wir müssen das Grundstück umgraben.«

61
    Die Maschinen lärmten in Ödegärd. Unter dem Zementboden im Keller fanden sie Kleidungsstücke. Alle versuchten sich vorzubereiten. Seelisch. Wie auch immer.
    Als Winter vom Hof in die Stadt fuhr, war ihm, als hätte die Welt an Tiefenschärfe verloren, als wäre sie nichts als ein flacher, in Nebel gehüllter Acker. Ein Totenacker, und in Ödegärd herrschte der Tod. Erst in Stadtnähe begann das Leben: Die Lichter der Stadt ließen sich aus zwanzig Kilometer Entfernung nur erahnen in diesem Nieselregen, an diesem grauen Morgen. Wie Pisse im Schneematsch.
    Winter rannte hoch in Beiers Labor, als er die Notiz auf seinem Schreibtisch fand, sie gelesen hatte.
    Winter fuhr nach Hause, stellte das Auto in die Garage und machte sich zu Fuß auf den Weg. Er klingelte an der Tür. Niemand machte auf. Wie beim vorigen Mal. Er klingelte noch einmal, die Tür öffnete sich mit einem Knacken, und Winter sah ihre Augen drinnen glänzen. Er hatte den Rollstuhl nicht gehört.
    »Schon wieder«, sagte sie.
    »Diesmal müssen Sie mich reinlassen.«
    »Ich bin allein hier. Die Hilfe ist nicht da.«
    »Ich möchte, dass Sie die Tür aufmachen.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Es ist vorbei, Brigitta.«
    »Eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit«, hatte Beier gesagt. »Reicht es?«, hatte Winter gefragt.
    »Ja. Sonst würde der Test nicht so viel kosten und so lange dauern.«
    »Haben Sie den schon oft gemacht?«
    »Frag mich nicht. Komm wieder, wenn es ein Register für so was gibt. Könnte noch dieses Jahr sein.«
    Sie war vor ihm her ins Zimmer gerollt. Eine Straßenbahn ratterte vorbei und ließ den Balken beben. Dies war kein Zimmer, um darin zu leben. Vielleicht tut sie es auch nicht, überlegte Winter. Leben. Sie lebt, aber was für ein Leben.
    »Wie haben Sie mich angeredet?«
    »Mit Ihrem richtigen Namen. Brigitta.«
    »Den Namen hab ich noch nie gehört.«
    »Ich habe gesagt, es ist vorbei. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.«
    »Ha!«
    »Ich kann Ihnen helfen.«
    Sie antwortete nicht, ihr Gesicht in den Schatten des Zimmers verborgen. »Haben Sie mich verstanden, Brigitta?« »Warum nennen Sie mich so?« »Sie heißen so.«
    »Ich meine, warum Sie plötzlich anfangen, mich Brigitta zu nennen. Warum Sie... das glauben.« »Ich glaube es nicht nur«, sagte Winter. »Ich weiß es.« »Wie das?«
    »Ihre Identität als Greta Bremer ist nicht einmal gefälscht«, antwortete er stattdessen. »Wenn man es nicht weiß, wird man nichts bemerken. Geschickt gemacht, die Papiere.«
    Sie nickte. Er fand jedenfalls, dass es aussah, als nicke sie.
    »Und Ihr... Aussehen. Sie konnten ja unmöglich die fünfundfünfzig Jahre alte Brigitta Dellmar sein.«
    »Sehen Sie«, sagte sie. »Bewegen kann ich mich auch kaum.«
    »Ich glaubte fest, dass Sie Brigitta sind«, fuhr Winter fort. »Aber es schien... unmöglich. Und ich hatte keinerlei Hinweis, keine Hilfe von anderer Seite.«
    Zum ersten Mal drehte sie ihm das Gesicht zu. »Und? Wieso wissen Sie es jetzt?«
    Winter trat einen Schritt näher und stellte sich neben sie und den Rollstuhl. Er streckte vorsichtig die Hand vor und nahm etwas von dem Kissen in ihrem Rücken. »Davon«, erklärte er und hielt ein einzelnes Haar hoch, das in dem spärlichen Licht, das durch das Fenster hereindrang, kaum zu sehen war.
    »Was ist das? Ein Haar?«
    »Eines von Ihren Haaren«, korrigierte Winter. »Haben Sie schon mal den Begriff DNS gehört?« »Nein.«
    »Sie haben noch nie davon gehört?« »Doch.«
    Winter ließ das Haar fallen und ging quer durchs Zimmer zu einem Sessel. Er setzte sich.
    »Im Zellkern gibt es die gewöhnliche DNS«, dozierte er. »Und dann gibt es noch etwas anderes. Das heißt Mitochondrien und kommt im Zellplasma vor. Das ist schwerer zu isolieren.«
    Sie murmelte etwas, und Winter wartete darauf, dass sie die Worte laut
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