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Die Schatten von Belfast

Die Schatten von Belfast

Titel: Die Schatten von Belfast
Autoren: Stuart Neville
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lass mich.«
    Seine Beine zitterten vor Erschöpfung, er musste sich an der Wand abstützen. Er drehte sich um und taumelte zur Tür. Sie kam ihm nach. Er konnte beinahe spüren, wie Kugeln in seinen Hinterkopf einschlugen.
    »Bitte«, flehte er.
    Die Frau lief jetzt neben ihm, ihre Fingerspitze lag an seiner Schläfe. Fegan taumelte ins Bad und klatschte mit den Füßen in die Wasserlache am Boden. Über dem Waschbecken hing ein gesprungener Spiegel. Fegan sah sein hohlwangiges Gesicht und die dunklen Ringe unter den Augen.
    »Ich wollte doch nur meinen Frieden«, sagte er. »Ich wollte nur schlafen. Mehr nicht.«
    Er sah sie im Spiegel, sie hatte die imaginäre Pistole auf ihn gerichtet. Ihre Augen bohrten sich in das Spiegelbild seiner eigenen. »Warum habt ihr mich nicht einfach umgebracht? Wozu das Ganze?«
    Er drehte den Wasserhahn auf, und das Ächzen der Wasserleitungen hallte durch das alte Haus. Braunes Wasser sprudelte heraus und lief über seine Hände, als er das Blut abwusch. Als das Wasser schließlich klar wurde, spritzte er sich eine Handvoll davon ins Gesicht und fuhr sich über die rauen Bartstoppeln. Eine weitere Handvoll schüttete er sich in den Mund, es schmeckte nach Kupfer.
    »O Gott.« Er drehte den Hahn zu und wischte sich über die Augen.
    Dann schlurfte er hinüber zur Badewanne und setzte sich vorsichtig auf den Rand. Sein Körper fühlte sich so schwer an, dass er ihn nicht mehr tragen konnte. Etwas drückte ihn im Kreuz: Campbeils Glock.
    »Bitte.« Er sah zu der Frau hoch. »Ich kann mir doch noch ein Leben aufbauen.«
    Sie trat näher und legte ihm wieder den Finger an die Stirn. Fegan streckte den Arm aus und nahm ihre Hand in seine. Plötzlich fiel ihm etwas auf: Er hatte sie noch nie von sich aus berührt. Sie hatte zwar ihn berührt, er sie aber nie. Er umklammerte ihre Finger mit seinen. Dann sah er in ihre erbarmungslosen Augen hoch.
    »Ich kann ein normales Leben führen. Ich kann ein echter Mensch sein, ein ganzer Mensch. Ich weiß, dass ich nicht mit Marie und Ellen zusammen sein kann, aber ich kann immerhin anständig sein. Bitte lassen Sie mich ein Leben haben.«
    Ihre Augen flackerten, etwas Sanftes kam in ihnen zum Vorschein.
    »Gnade«, flehte Fegan. Das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. Er drückte fest ihre Hand und fühlte ihre zarten Knöchel. »Ich bitte Sie um Gnade.«
    Etwas flackerte in ihrem Gesicht auf, nur für einen Moment, dann verschwand es wieder. Sie zog ihre Hand weg, formte wieder eine Pistole und legte Fegan den Finger auf die Stirn. Auf ihrem Gesicht lag keine Wut mehr, kein Hass, nur noch Traurigkeit.
    Fegan schloss die Augen. Er griff in sein Kreuz und fand in seinem Hosenbund den Griff der Glock, er lag gut in seiner Hand. Die Waffe strich raschelnd über seine Jacke, als er sie herauszog, das Metall hinterließ eine kalte Stelle, sie war schwer und schepperte gegen den Badewannenrand. Er machte die Augen wieder auf.
    »Können wir jetzt gehen?«, fragte Ellen von der Tür aus. Ihr goldenes Haar schimmerte im Morgenlicht. Ihre Füße patschten durchs Wasser, als sie auf ihn zukam.
    »Gleich«, antwortete er. Er ließ die Waffe in die Badewanne hängen, damit ihre schönen Augen sie nicht zu sehen bekamen.
    »Warum weinst du?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er.
    Sie schob sich zwischen seine Knie und setzte sich auf seinen zitternden Oberschenkel. Ihre Finger fühlten sich weich und warm an, als sie über seine Tränen und Stoppeln fuhren. Sie lehnte sich ganz dicht an ihn und flüsterte: »Wo ist das Baby?«
    Fegan blinzelte. »Was?«
    »Die geheime Frau. Wo ist ihr Baby hin?«
    Fegan schluckte. »In den Himmel.«
    Ellen lächelte und legte ihren Kopf an seine Brust. Sein linker Arm war so schwer, dass er ihn kaum noch heben und um sie legen konnte.
    Die Augen der Frau tanzten funkelnd hin und her. Mit zitternden Lippen kniete sie sich hin, strich mit den Fingerspitzen über Ellens Haar und glättete die Strähnen. Sie sah Fegan in die Augen und schenkte ihm ein unsagbar sanftes, mattes und trauriges Lächeln. Dann stand sie auf und schritt in langsamer Anmut durch die Tür.
    Kurz bevor sie dahinter im Morgenlicht verschwand, drehte sie sich noch ein letztes Mal um und sah Fegan an. »Gnade«, sagte sie.

Die beiden chinesischen Seeleute stritten miteinander, während sie auf der Motorhaube des Clio die Hundert-Pfund-Scheine nachzählten. Um sie herum standen riesige Container mit Walzblech, die gerade erst von einem Frachtschiff gelöscht
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