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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
Autoren: Sam Millar
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den Bund ihrer Jeans heraus. Ihr Gesicht wirkte ernst, als hätte sie keine Freude mehr im Leben; ihre Finger spielten nervös mit den Zähnen eines Kamms. Karl fiel sofort ihr linkes Auge auf.
    »Jemand hat ihr einen Kugelschreiber ins Gesicht gestochen, als sie zehn war«, sagte Geraldine, als hätte sie Karls Gedanken gelesen. »Sie verlor das Auge und bekam eins aus Glas … ein künstliches. Sie hasst es und hat schreckliche Komplexe deswegen, weil sie denkt, dass jeder sie anstarrt. Sie glaubt nicht, dass sie bildschön ist. Aber das ist sie.
Darum
starren sie alle an.«
    »Ich muss dich das fragen, Geraldine, aber nimmt deine Schwester Drogen?«, fragte Karl.
    »Sie …« Geraldine dachte anscheinend über die Frage nach. »Ja, aber sie ist seit fast sechs Monaten clean – wir beide. Warum? Heißt das, dass Sie dann nicht nach ihr suchen?«
    »Im Augenblick stecken wir bis zum Hals in Arbeit, Geraldine. Ich weiß ehrlich nicht, ob ich noch einen Fall übernehmen kann. Das wäre dir und deiner Schwester gegenüber nicht fair. Und selbst wenn …«
    »Keiner deiner aktuellen Fälle ist ein Vermisstenfall, Karl«, warf Naomi ein.
    »Wirklich? Das wusste ich gar nicht«, antwortete Karl giftig und warf Naomi einen vernichtenden Blick zu.
    »Ich habe etwas Geld gespart. Sie müssen nicht umsonst arbeiten, Mister Kane. Sagen Sie mir, wie viel Sie berechnen, und ich beschaffe es – so oder so.«
    Bevor Karl antworten konnte, lächelte Naomi. »Ich wäre bereit, umsonst zu arbeiten, Karl«, sagte sie. »Wenn ich mich recht entsinne, stehen mir noch ein paar Wochen
Urlaub
zu.«
    »Urlaub?«, antwortete Karl zähneknirschend. »Für dich ist jeder Tag hier Urlaub. Und Erpressung verstößt gegen das Gesetz. Das weißt du doch, oder nicht?«
    »Was ich über Gesetze weiß, das habe ich von
dir
gelernt, du großer, starker Mann. Soll ich meine Koffer für den Urlaub packen, oder nicht?«
    »Okay, Erpresserin. Du hast gewonnen. Aber komm mir nicht wieder mit deinem Gehalt.«
    »Ich sagte doch schon, Mister Kane«, wandte Geraldine ein, »irgendwie kratze ich Ihr Honorar zusammen.«
    »Darüber können wir uns später unterhalten, Geraldine. Jetzt musst du dich erst mal ein wenig beruhigen. Wenn man sich dauernd Sorgen macht, nützt das gar nichts, sondern bauscht das Problem nur auf. Okay?«
    Geraldine nickte langsam.
    »Chinesisch oder Pizza, Geraldine?«, fragte Naomi.
    »Ich hab echt keinen großen Hunger …«
    »Klar, du siehst ja auch aus wie das blühende Leben«, kommentierte Karl, der eine Speisekarte aus der obersten Schublade seines Schreibtischs zog. »Hier. Such dir was aus. Entweder sagst du Naomi, was du willst, oder ich muss raten. Und du willst ganz sicher nicht, dass ich rate.«
    Zum ersten Mal, seit sie das Büro betreten hatte, lächelte Geraldine zaghaft, nahm die Speisekarte und überflog sie.
    Naomi lächelte Karl inbrünstig-liebevoll zu. Er erwiderte das Lächeln blitzschnell mit einem vernichtenden »Warte, bis ich dich allein erwische«-Blick und zischte leise:
»Und du besitzt die Stirn, mir zu sagen, dass ich auf eine rührselige Geschichte hereinfalle?«
    Karl betrachtete das Foto eingehender. »Wie heißt denn deine Schwester, Geraldine? Ich glaube, das hast du uns noch nicht gesagt.«
    »Pardon. Sie heißt Martina, Mister Kane. Martina …«

Kapitel Drei
    »Mir scheint, die größten Schurken sind die, die ihre Ehrlichkeit stets am meisten betonen.«
    Anthony Trollope, The Three Clerks
    Karl parkte sein Auto – einen Ford Cortina GT  – in der Tiefgarage des Jugendheims, dann schlenderte er zur Vorderseite des viktorianischen Bauwerks in der Victoria Street.
    Eine Überwachungskamera schwenkte herum, als er auf den eingegipsten Summer an der baufälligen Wand des Heims drückte. Die Sekunden verstrichen, doch in dem Gebäude tat sich nichts. Er summte erneut, diesmal länger.
    »Ich habe Sie schon beim ersten Mal gehört,
Sir
. Sie müssen den Knopf nur ein Mal drücken«, ertönte eine gelangweilte Stimme aus der Sprechanlage. »Hier ist der Wachdienst. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich habe einen Termin bei einer Mrs Beverly Thompson. Ich habe vor einer Stunde mit ihr telefoniert.«
    »
Miss
Thompson«, verbesserte der Wachmann. »Ihr Name,
Sir

    »Kane. Karl Kane«, antwortete Karl, dem die Geringschätzung in dem Wort
Sir
sofort auffiel.
    »Augenblick bitte,
Sir
 …«
    Aus Sekunden wurden Minuten. Karl wollte schon erneut läuten, als ein lautes Klicken ertönte,
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