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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
Autoren: Sam Millar
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spürte, wie ihm Tränen in die Augen schossen, und verabscheute seine Schwäche auf der Stelle.
    »Bitte«, flehte er.
    »Bitte, bitte, bitte! Immerzu dieses Bitte«, schimpfte sie und schüttelte angewidert den Kopf.
    »Tut mir leid.«
    »Psst. Schon gut. Schon gut«
, flüsterte sie, küsste seinen Hals, seine Schultern und glitt mit den Lippen an seiner Wirbelsäule hinab. Er spürte ihre Lippen auf dem Talkum, ihre Stimme zwischen seinen Pobacken. »Genieße es einfach … und dann machen wir uns fertig, bevor die Thompsons und die anderen Gäste kommen. Diesmal wird es etwas ganz Besonderes …«
    Sie griff nach dem Öl.
     
    Der Nachmittag war herrlich, kaum ein Wölkchen verunzierte den sonst meist verhangenen Himmel über Belfast. Perfektes Jagdwetter. Die überwiegend, aber nicht ausschließlich männliche Jagdgesellschaft, die sich versammelt hatte, war bestens ausgerüstet; sie glich einer Miniaturarmee vor der Schlacht. Manchem Teilnehmer hatte der Wein bereits die Zunge gelockert und den Verstand umnebelt. Im Widerspruch zu der gefährlichen Situation hatte die Szene fast die komische Aura einer Burleske. Die Vorstehhunde, die die ledrigen Schnuppernasen in den Wind hielten, bellten aufgeregt in Erwartung von Blut und Fleisch, das sie bald zwischen die Zähne bekommen würden.
    »Weidmannsheil!«, rief der Jagdleiter, worauf die Gruppe in Jubelrufe ausbrach, ausschwärmte und der Zickzackspur der Hunde folgte, die nur darauf warteten, dass die ersten Tiere aus ihren Bodenmulden emporgestoben kamen.
    Wildes Heidekraut sprenkelte die Sumpflandschaft von Laub und Farnen. In der konturlosen Landschaft konnte man leicht die Orientierung verlieren und sich verirren.
    Keine fünfzehn Minuten später knurrten die Hunde leise, fast verstohlen. Die am Boden nistenden Vögel waren nicht mehr weit.
    »Robert? Alles klar?«, fragte Frankie Gilmore, der Sohn des Jagdleiters. »Du siehst ein wenig mitgenommen aus.«
    »Was? … Oh … ja. Bei mir ist immer alles klar. Und jetzt kümmere dich um deinen Kram!«
    Aber bei ihm war nicht alles klar.
Sie
beachtete ihn gar nicht, blickte nicht einmal in seine Richtung, und ihr zotiges Lachen wirkte so ansteckend, dass die Männer – und sogar einige Frauen der Jagdgesellschaft – darin einstimmten. Darin war sie gut. Im Manipulieren. Redete sie über ihn? Erzählte sie ihnen, wie jämmerlich er war, dass er im Schlafzimmer wie ein kleines Kind weinte? War das der große Lacher?
    Plötzlich verspürte er pochende Kopfschmerzen. Ihr Lachen bohrte sich in seinen Schädel, aus ihrem grinsenden Mund drang nur noch das kehlige Plärren eines Esels.
Hiaa hiaa. Hiaa hiaa. Hiaa Scheißdreck hiaa …
    Er betrachtete ihr Gesicht ein weiteres Mal, bevor er behutsam den Abzug der Schrotflinte drückte. Der Schuss riss das Firmament entzwei und verhallte in der Weite des Himmels. Er sah, wie die ausgeworfene orangerote Patronenhülse einen Sekundenbruchteil, nachdem sie winzige Granatapfelkerne aus schwarzem Metall fächerförmig wie einen Schwarm Fliegen hinauskatapultiert hatte, langsam zu Boden fiel, wie in Zeitlupe.
    Der Knall der Schrotflinte folgte unmittelbar und unüberhörbar. Sie lachte nicht mehr. Keiner lachte mehr. Binnen eines Sekundenbruchteils war alles vorbei; eines Sekundenbruchteils, der den Höhepunkt einer wissentlich und kaltblütig getroffenen Entscheidung darstellte.
    Sie drehte sich mit verwirrtem Gesicht zu ihm um. Sperrte den Mund auf, brachte aber nichts heraus. Tastend griff sie mit der Hand an den Hinterkopf. Sie betrachtete die blutigen Finger, dann brach sie unvermittelt zusammen und fiel in ein dünnes Rinnsal von brackigem Wasser und warmer Hundescheiße.
    Alle eilten zu ihr. Alle außer ihm.
    Ein beunruhigender Rausch, der zu gleichen Teilen von Angst und Staunen gespeist wurde, kam plötzlich über ihn, während er zusah, wie sie am ganzen Körper konvulsivisch in Schlamm und Unrat zuckte. Im Handumdrehen wurden ihre Augen trüb. Schatten erfüllten ihre Augenhöhlen. Das Urteil war vollstreckt. Der Henker in seinen Händen hatte gesprochen. Sie hatte diese Vergeltung gewollt und bekommen. Die schnelle, brutale Zufriedenheit, die er verspürte, kam ihm in ihrer Heftigkeit fast wie Sex vor.
    Sie existierte nicht mehr.
    Das war wahrhaft wunderschön.

Kapitel Eins
    »Tief ins Dunkel späht’ ich lange,
    zweifelnd, wieder seltsam bange …«
    Edgar Allan Poe, Der Rabe
    In dem gruftartigen Gebäude stach totes Licht von hohen, vernagelten
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