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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
Autoren: Sam Millar
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Zentimeter … du schaffst es …
    Sie reckte sich verbissen und schaffte es schließlich, die Gitterstäbe zu packen. Verzweifelt wollte sie sich hochziehen. Zu schwach. Zu schwer.
    Von wegen! Du bist stark. Nicht schwach. Zieh! Zieh deinen fetten Arsch hoch; lass nicht zu, dass er gewinnt und dich runterzieht. Ziiieh!
    Unter Aufbietung aller Willenskraft gelang es ihr, sich hochzuziehen, bis sich ihr Gesicht vor einer geborstenen Stelle des Drahtglases hinter dem Gitter befand. Sie blickte hinaus und sah grünen Wildwuchs. Wucherndes Unkraut? Gras? Davon abgesehen jedoch keine Spur von etwas Lebendigem.
    »Martina?«
    Die Stimme des Mannes erschreckte sie. Er lag auf dem Bauch, sah zu ihr herein, und nur die schmutzige Drahtglasscheibe trennte sie voneinander. Mit der Nachtsichtbrille auf dem grinsenden Gesicht sah er wie ein riesiger Grashüpfer aus, der sich im Dickicht versteckt.
    »Du bist ein böses Mädchen, Martina. Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht versuchen, aus meinem Königreich zu fliehen.«
    »Bitte …« Ein Krächzen. Ihre Stimme? War das ihre Stimme? »Lassen Sie mich gehen. Ich … ich mache, was Sie verlangen.«
    »Du
hast
schon gemacht, was ich verlangt habe, Martina. Weißt du nicht mehr? Ich bin im Nu bei dir. Rühr dich nicht vom Fleck. Ich komme.
Ich
ko-hoomme …
«, rief der Mann, sprang auf und verschwand.

Kapitel Zwei
    »Durch diese schäbigen Straßen muss ein Mann gehen, der selbst nicht schäbig ist … ein gewöhnlicher und doch ungewöhnlicher Mann. Er redet wie der typische Mann seiner Zeit, geistreich, rüde, mit einem ausgeprägten Sinn für das Groteske.«
    Raymond Chandler, Die simple Kunst des Mordes
    Karl Kane folgte häufig seinen Eingebungen. So auch an diesem Tag, als er in seinem Büro/Apartment in der Hill Street in Belfast auf seinem Lieblingssessel saß. Private Dickey lief im Rennen um fünfzehn Uhr. Das Pferd bevorzugte festen Untergrund. Beim letzten Rennen hatte es den fünften Platz belegt. Besser als davor, als es als Achter ins Ziel kam, wie ein Betrunkener an einem Samstagabend.
    Karl, der sich von nüchternen Statistiken nie beeindrucken ließ, setzte – so beiläufig und entspannt, wie es nur an einem Samstagnachmittag möglich ist – sein Kreuz bei einer Quote von acht zu eins.
    »Bei dir habe ich ein gutes Gefühl«, sagte Karl und wischte sich zum x-ten Mal die Stirn ab – ein verzweifelter Versuch, den Schweißfilm loszuwerden, der sich auf seiner Haut bildete. Zwei Mal hatte er in der zurückliegenden Stunde kalt geduscht, und dennoch überzog die unerträgliche Hitze seinen Körper schon wieder mit einer unangenehmen Nässe, sodass das Nikotinpflaster an seinem Oberarm wellig wurde.
    Er stand auf, ging zu dem offenen Fenster und versuchte, es noch weiter zu öffnen. Der Windhauch, der schwach hereinwehte, fühlte sich wie Gummi auf Karls Haut an. Dem trägen Ventilator über seinem Kopf gelang es kaum, die stickige Luft umzuwälzen. »Verfluchte Hitze«, murmelte Karl und kratzte sich heftig an seiner Unterhose, auf der ein Schriftzug prangte:
I am home, take me drunk
.
    Er widmete sich wieder der Zeitung, wurde jedoch jäh aus seinen Gedanken gerissen, als jemand mit schriller Stimme seinen Namen rief.
    »Karl!«, rief eine junge Frau, die den Kopf zur Tür hereinstreckte und Lippenstift auftrug, während sie redete – eine Leistung, die Karl immer wieder in Erstaunen versetzte, sooft er auch Zeuge davon wurde. Die außerordentlich attraktive und gelenkige Naomi Kirkpatrick hatte einen dunklen Teint, große Mandelaugen und unbändiges schwarzes Haar, das in alle Richtungen abstand. Ihre Stimme wies den Akzent des Nordens auf, vermischt mit der Melodie des Südens. Naomi, zwölf Jahre jünger als Karl, hatte ihn vor drei Jahren im John Hewitt Pub kennengelernt, wo sich Karl gerade eine Schlägerei mit einem Schriftsteller lieferte. Um ihn vor einer Verhaftung zu bewahren, hatte die amüsierte Naomi den betrunkenen Karl hastig in die Nacht hinausbugsiert. Zwei Tage später – als der hoch verschuldete Karl ihr einen Job als Sekretärin anbot – nahm sie widerwillig und unter der ausdrücklichen Bedingung an, dass es kein Techtelmechtel zwischen ihnen geben würde. Karl, der gerade eine hässliche Scheidung hinter sich hatte, die ihn das letzte Hemd kostete, stimmte zu. An diesem Punkt im Scherbenhaufen seines Lebens wünschte er sich nichts weniger als eine neue Beziehung. Eine Woche nach dieser Übereinkunft waren sie ein
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