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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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werden von der Theokratie und verschiedenen politischen Elementen auf eine gänzlich retrogressive Weise manipuliert.« Bhupen sagte: »Wir können die Allgegenwart des Glaubens nicht negieren. Wenn wir auf eine Art schreiben, die einen solchen Glauben als irregeleitet oder falsch vorverurteilt, machen wir uns dann nicht des Elitedenkens schuldig, drängen wir dann den Massen nicht unsere Weltsicht auf?« Swatilekha war voll Verachtung. »Im Indien von heute werden Frontlinien gezogen«, rief sie aus.
    »Säkular gegen religiös, Licht gegen Finsternis. Überleg dir genau, auf welcher Seite du stehst.«
    Bhupen erhob sich wütend und wollte gehen. Zeeny beruhigte ihn: »Wir können uns keine Schismen leisten. Pläne müssen gemacht werden.« Er setzte sich wieder, und Swatilekha drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Tut mir leid«, sagte sie. »Zuviel Collegebildung, wie George immer sagt. Eigentlich mag ich die Gedichte sehr. Ich wollte nur einen Fall durchspielen.« Ein beschwichtigter Bhupen tat, als wollte er ihr eins auf die Nase geben; die Krise war überstanden.
    Salahuddin dämmerte jetzt, dass sie sich getroffen hatten, um ihre Rolle bei einer bemerkenswerten politischen Demonstration zu besprechen: der Bildung einer Menschenkette zur Förderung der »nationalen Integration«, die vom Tor Indiens bis in die letzten Vororte der Stadt reichen sollte. Die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) hatte unlängst in Kerala eine solche Menschenkette mit großem Erfolg organisiert. »Aber«, meinte George Miranda, »hier in Bombay wird das etwas völlig anderes sein. In Kerala hat die KP(M) die Macht. Hier, wo diese Shiv-Sena-Schweine alles beherrschen, müssen wir mit allen erdenklichen Schikanen rechnen, von einer Obstruktionspolitik seitens der Polizei bis hin zu richtiggehenden Überfällen von Banden auf einzelne Glieder der Kette, insbesondere, da sie, was unausweichlich ist, durch die Hochburgen der Sena durchmuss , in Mazagaon und so weiter.« Trotz dieser Gefah ren, erklärte Zeeny Salahuddin, seien solche öffentlichen Demonstrationen von größter Relevanz. Angesichts der Eska lation kommunalistischer Gewalt - und Meerut war da nur das jüngste Beispiel in einer langen Reihe blutiger Vorfälle - sei es absolut geboten, dass man den Kräften der Desintegration das Feld nicht kampflos überlasse.
    »Wir müssen deutlich machen, dass es auch Gegenkräfte gibt.«
    Salahuddin war etwas verwirrt von der Rasanz, mit der sein Leben begonnen hatte, sich wieder einmal zu ändern. Ich als Teil einer KP(M)Veranstaltung. Wunder gibt es immer wieder.
    Ich muss wirklich verliebt sein.
    Als die Dinge geklärt waren - wer wie viele Freunde mobilisieren könnte, wo man sich traf, was man an Essen, Getränken und Erste-Hilfe-Ausrüstung mitbrachte -, wurden sie lockerer, kippten den billigen dunklen Rum und plauderten über Nebensächliches, und dann hörte Salahuddin zum ersten Mal die Gerüchte über das eigentümliche Verhalten des Filmstars Gibril Farishta, die in der Stadt die Runde machten, und fühlte, wie sein altes Leben ihn wie ein verborgener Dorn stach, hörte die Vergangenheit gleich einer fernen Trompete in seinen Ohren widerhallen.
     
    Der Gibril Farishta, der von London nach Bombay zurückgekehrt war, um die Fäden seiner Filmkarriere wieder aufzunehmen, war nach allgemeiner Übereinkunft nicht mehr der alte, unwiderstehliche Gibril. »Der Junge scheint voll Stoff auf Selbstmord zuzusteuern«, erklärte George Miranda, der den ganzen Filmklatsch kannte. »Wer weiß, warum? Es heißt, er sei unglücklich verliebt gewesen und jetzt ein wenig ausgeklinkt.« Salahuddin hielt den Mund, merkte aber, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Allie Cone hatte sich nach dem Brand von Brickhall geweigert, Gibril wieder aufzunehmen. In Sachen Vergebung, sinnierte Salahuddin, hat niemand daran gedacht, die vollkommen unschuldige und zutiefst verletzte Alleluja zu befragen; und wieder haben wir ihr Leben zu einer Randerscheinung des unsrigen gemacht. Kein Wunder, dass sie noch immer im Kreis springt. G ibril hatte Salahuddin in einem letzten und etwas angestrengten Telefongespräch mitgeteilt, er wolle nach Bombay zurückkehren, »in der Hoffnung, dass ich dich, sie und diese verdammt kalte Stadt in dem Leben, das mir noch bleibt, nie mehr wiedersehen muss «. Und nun ruinierte er sich allem Anschein nach wieder, und das auch noch auf heimatlichem Grund und Boden. »Er macht ein paar komische Filme«, fuhr George fort.
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