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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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voraus fiel, in der für den Eintritt von Babys in den Geburtskanal empfohlenen Lage, begann er, eine leichte Verärgerung zu empfinden über die Weigerung des anderen, auf die übliche Weise hinunterzufallen. Saladin fiel im Sturzflug, wogegen Farishta die Luft umarmte, sie mit Armen und Beinen liebkoste, ein wild fuchtelnder, outrierter Schauspieler, der die Technik künstlerischer Zurückhaltung nicht beherrschte. Unter ihnen, wolkenbedeckt, in Erwartung ihres Auftritts, die trägen, eiskalten Strömungen des Ärmelkanals, die für ihre wässrige Wiedergeburt bestimmte Zone.
    »Aus Japan sind meine schönen Schuh’«, sang Gibril und übersetzte dabei das alte Lied in halbbewuss ter Hochachtung vor dem entgegenstürmenden Gastland, »die Hosen sind englisch, was meinst du dazu? Auf dem Kopf ein russischer Hut, aber indisch ist mein Blut.« Die Wolken ballten sich ihnen entgegen, und vielleicht war es wegen der mystischen Formationen von Kumulus und Kumulonimbus, der mächtig dahinziehenden Gewitterwolken, die wie Hämmer in der Morgendämmerung aufragten, oder vielleicht war es das Singen (wobei der eine die Vorstellung gab und der andere sie ausbuhte), oder ihr Detonationsdelirium, das ihnen die volle vorherige Kenntnis des ihnen unmittelbar Bevorstehenden ersparte… doch aus welchem Grund auch immer, die beiden Männer, Gibril Saladin Faris hta Chamcha, zu diesem endlosen und doch endenden engelgleichen, teuflischen Fall verdammt, merkten nicht, in welchem Augenblick der Prozess ihrer Transmutation begann.
    Mutation?
    Jawohl, aber keine zufallsbestimmte. Dort oben im Luftraum, jenem weichen, nicht wahrnehmbaren Bereich, den das Jahrhundert ermöglicht hatte und der daraufhin das Jahrhundert ermöglichte, der zu einer seiner bestimmenden Sphären geworden war, zum Ort des Strebens und des Krieges, zu einem Ort, der den Planeten schrumpfen ließ, einem Mächtevakuum, der unsichersten und unbeständigsten aller Sphären, trügerisch, ständig in Auflösung und Wandlung begriffen - denn wenn man alles in die Luft wirft, wird alles möglich -, hoch dort oben jedenfalls fanden Veränderungen in delirierenden Schauspielern statt, die das Herz des alten Herrn Lamarck hätten höher schlagen lassen: unter extremem Außendruck werden charakteristische Merkmale erworben.
    Was für Merkmale, welche? Langsam, langsam; Sie glauben wohl, die Schöpfung vollzieht sich im Nu? Aber nein, ebenso wenig wie die Offenbarung… sehen Sie sich die beiden an. Fällt Ihnen etwas Ungewöhnliches auf? Nur zwei schnell fallende braune Männer, das ist doch nichts besonders Neues, werden Sie vielleicht denken; stiegen zu weit hinauf, wollten zu hoch hinaus, flogen zu nah an der Sonne, ist es das?
    Das ist es nicht. Hören Sie zu:
    Mr. Saladin Chamcha, entsetzt über die dem Munde Gibril Farishtas entströmenden Laute, schlug mit eigenen V ersen zurück. Was Farishta über den unwahrscheinlichen Nachthimmel wehen hörte, war ebenfalls ein altes Lied, Text von Mr. James Thomson, siebzehnhundert bis siebzehnhundertachtundvierzig. »…durch himmlisches Gebot«, jubilierte Chamcha durch Lippen, die sich aufgrund der Kälte patriotisch rotweißblau verfärbt hatten, »so kaaam, es aus der blauen Seeee.« Farishta, zu Tode erschrocken, sang immer lauter von japanischen Schuhen, russischen Hüten, jungfräulich subkontinentalem Geblüt, konnte jedoch Saladins ungestü men Vortrag nicht zum Verstummen bringen: »Schutzengel sangen in der Höööh.«
    Seien wir uns darüber im Klaren : Es war unmöglich, dass die beiden einander hören, geschweige denn sich miteinander unterhalten und einen solchen Sängerwettstreit austragen konnten. Wie wären sie dazu fähig gewesen, wo sie sich doch mit immer größerer Geschwindigkeit dem Planeten näherten und die Atmosphäre um sie herum toste? Aber seien wir uns auch darüber im Klaren : sie waren es.
    Hinab wirbelten sie, und die Winterkälte, die ihre Wimpern mit Reif überzog und ihre Herzen zu gefrieren drohte, war im Begriff, sie aus ihrem ekstatischen Tagtraum zu reißen, und gerade als ihnen das Wunder ihres Gesanges bewusst wurde, der Regen von Gliedmaßen und Babys, von dem sie ein Teil waren, und die Entsetzlichkeit des Schicksals, das von unten auf sie zuraste, trafen sie auf die eiskalt brodelnden Wolkenwogen, wurden von ihnen bis auf die Haut durchnässt und augenblicklich mit einer Eisschicht glasiert.
    Sie befanden sich anscheinend in einem langen, vertikalen Tunnel. Chamcha, steif, starr und
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