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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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immer noch kopfüber, sah, wie Gibril Farishta in seinem purpurroten Buschhemd in diesem Tunnel mit Wolkenwänden auf ihn zuschwamm, und hätte gerufen: »Weg, weg von mir«, wenn ihn nicht etwas daran gehindert hätte, das Entstehen von etwas Flatterndem, Schrillem in seinen Eingeweiden, so dass er, statt Worte der Ablehnung zu äußern, die Arme ausbreitete, und Farishta schwamm hinein, bis sie sich Kopf an Fuß umarmten, und die Wucht des Aufpralls ließ sie gemeinsame Räder schlagen den ganzen langen Schacht hinunter, der ins Wunderland führte; und während sie vorwärts drängten, bahnte sich aus dem Weiß eine Prozession sich ständig wandelnder Wolkenformen ihren Weg, Götter wurden zu Stieren, Frauen zu Spinnen, Männer zu Wölfen. Hybride Wolkenwesen stürmten auf sie zu, riesenhafte Blumen mit menschlichen Brüsten, die von fleischigen Stängeln baumelten, geflügelte Katzen, Zentauren, und halb bewusstlos , wie er war, wurde Chamcha von der Vorstellung gepackt, dass auch er Wolkennatur angenommen hatte, seine Gestalt veränderte, zum Zwitterwesen wurde, wie wenn er in die Person hineinwachsen würde, deren Kopf nun zwischen seinen Beinen gebettet lag und deren Beine um seinen langen, aristokratischen Hals geschlungen waren.
    Diese Person hatte allerdings keine Zeit fü r solch »hochtrabendes Geschwätz«; war dazu gar nicht fähig. Hatte sie doch eben aus dem Wolkenwirbel die Gestalt einer bezaubernd schönen Frau in einem gewissen Alter auftauchen sehen, die einen Sari aus grünem und goldenem Brokat und einen Diamanten in der Nase trug, das hochgesteckte Haar mit Haarlack gegen den Wind in diesen Höhen geschützt, und gleichmütig auf einem fliegenden Teppich saß. »Rekha Merchant«, begrüßte Gibril sie. »Du hast wohl den Weg in den Himmel nicht gefunden?« Wie gefühllos, solche Worte an eine Tote zu richten! Aber sein erzwungener Sturzflug mag als mildernder Umstand angeführt werden… Chamcha umklammerte Farishtas Beine und erkundigte sich verständnislos: »Was zum Teufel soll das?«
    »Siehst du sie nicht?« rief Gibril. »Siehst du ihren verdammten Bucharateppich nicht?«
    Nein, nein, Gibbo, flüsterte ihre Stimme ihm ins Ohr, erwarte von ihm keine Bestätigung. Ich bin ausschließlich für deine Augen bestimmt, vielleicht bist du am Verrücktwerden, was meinst du, du Namaqool, du Stück Schweinedreck, mein Lieber. Mit dem Tod kommt die Ehrlichkeit, mein Liebster, also kann ich dich bei deinen richtigen Namen nennen.
    Die wolkige Rekha murmelte Säuerlichkeiten, doch Gibril wandte sich erneut an Chamcha: »Spoono? Siehst du sie oder siehst du sie nicht?«
    Saladin Chamcha sah nichts, hörte nichts, sagte nichts. Gibril blickte ihr allein ins Angesicht. »Das hättest du nicht tun sollen«, wies er sie zurecht. »Auf keinen Fall. Eine Sünde. Sowas.«
    Ach, jetzt belehrst du mich auch noch, lachte sie, hältst Moralpredigten, das ist wohl ein Witz. Du warst es, der mich verlassen hat, gab ihre St imme seinem Ohr zu bedenken und schien dabei am Ohrläppchen zu knabbern. Du warst es, o Mond meiner Wonne, der sich hinter einer Wolke versteckte.
    Und ich in der Finsternis, blind, verloren, aus Liebe.
    Er bekam es mit der Angst. »Was willst du? Nein, sag es nicht, geh fort.«
    Als du krank warst, durfte ich dich nicht besuchen, um einen Skandal zu vermeiden, du hast gewusst , dass es nicht ging, dass ich deinetwegen wegblieb, aber hinterher hast du mich bestraft, du hast es als Grund benutzt, mich zu verlassen, als dein Wolkenversteck. Das und auch sie, die Eisfrau. Schuft. Jetzt, da ich tot bin, habe ich vergessen, wie man verzeiht. Ich verfluche dich, mein Gibril, dein Leben soll die Hölle sein. Die Hölle, denn dorthin hast du mich geschickt, verdammt sollst du sein, von dort kommst du her, du Teufel, dort gehst du hin, du Blutsauger, genieß dein blutiges Bad. Rekhas Fluch; und danach Verse in einer Sprache, die er nicht verstand, harsch, zischend; wiederholt glaubte er, aber vielleicht irrte er sich, den Namen Al-Lat zu vernehmen.
    Er klammerte sich an Chamcha; sie hatten die Wolkendecke durchbrochen.
    Die Geschwindigkeit, die Empfindung der Geschwindigkeit kehrte wieder mit einem grässlichen Pfeifton. Das Wolkendach floh in die Höhe, die Wasserfläche näherte sich rasend, ihre Augen öffneten sich. Ein Schrei, derselbe Schrei, der in seinen Eingeweiden geflattert war, als Gibril quer über den Himmel auf ihn zuschwamm, löste sich von Chamchas Lippen; ein Sonnenpfeil durchbohrte
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