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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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Sohn zu einem Spaziergang auf dem Dach ihres Wohnhauses mit. Das Gebäude hieß Everest-Vilas.
    Seine Nachbarin; genauer gesagt, sie wohnte direkt unter ihm. Seine Nachbarin und seine Freundin; warum sollte ich noch mehr sagen? Natürlich füllten sich die Skandalspalten der gehässigen Gazetten der Stadt mit Anspielungen, Anzüglichkeiten und Andeutungen, aber das ist kein Grund, sich auf ihr Niveau zu begeben. Warum Rekhas guten Ruf jetzt in den Schmutz ziehen?
    Wer war sie? Reich, gewiss , aber schließlich war Ev erest Vilas nicht gerade ein Mi etshaus in Kurla, oder? Verheiratet, jawohl, seit dreizehn Jahren, mit einem Mann, der eine Größe im Kugellagergeschäft war. Unabhängig, ihre Teppich-und Antiquitätenläden florierten in bester Lage in Colaba. Sie nannte ihre Teppiche Klims und Kliens und die alten Kunstgegenstände Antiqujus. Ja, und sie war schön, schön auf die harte, glänzende Art jener vergeistigten Bewohner der himmelhohen Häuser der Stadt. Knochen, Haut, Haltung allesamt Zeugen ihrer langen Trennung von der verarmten, schweren, wuchernden Erde. Alle waren sich darin einig, dass sie ein starker Charakter war, wie ein Fisch aus Lalique-Kristall trank und ihren Hut schamlos auf einen Chola Natraj hängte, dass sie wusste , was sie wollte und wie sie es bekam, und zwar auf der Stelle. Ihr Mann war ein Angsthase mit Geld und ein guter Squashspieler. Rekha Merchant las Gibril Farishtas Abschiedszeilen in der Zeitung, schrieb ihrerseits einen Brief, scharte ihre Kinder um sich , holte den Lift und begab sich himmelwärts (ein Stockwerk), auf dass sich das ihr bestimmte Los erfüllte.
    »Vor vielen Jahren«, so lautete ihr Brief, »habe ich aus Feigheit geheiratet. Nun endlich beweise ich Mut.« Sie ließ eine Zeitung auf ihrem Bett liegen, in der Gibrils Mitteilung rot eingekreist und dick unterstrichen war - drei starke Striche, von denen einer voll Wut ein Loch in die Seite gerissen hatte.
    Natürlich legte sich die Kanaillen-Journaille ins Zeug, überall war zu lesen:
    LI EBESTRAUM ENDET MIT TODESSPRUNG und
SCHÖNHEIT STÜRZTE SICH IN DEN TOD
– WEGEN GEBROCHENEM HERZ.

    Jedoch: Vielleicht hatte auch sie der Wiedergeburtsvirus infiziert, und Gibril, der die furchtbare Macht der Metapher nicht erkannte, hatte das Fliegen empfohlen. Um wiedergeboren zu werden, musst du erst, und sie war ein Geschöpf des Himmels, sie trank Lalique-Champagner, sie wohnte auf dem Everest, und einer ihrer Mit-Olympier war ausgeflogen; und wenn er es konnte, dann konnte auch sie beflügelt und in Träumen verwurzelt sein.
    Sie schaffte es nicht. Der Lala, der als Türsteher des Everest-Vilas-Komplexes angestellt war, legte ungeniert Zeugnis vor der Öffentlichkeit ab: »Ich spazierte gerade herum, hier, nur auf dem Grundstück, als ich etwas aufschlagen hörte, patsch. Ich drehte mich um. Es war die älteste Tochter. Ihr Schädel war völlig zerschmettert. Ich schaute hinauf und sah den Jungen fallen und dann das jüngere Mädchen. Was soll ich sagen, fast hätten sie mich erschlagen. Ich legte die Hand auf den Mund und ging hin. Das kleine Mädchen wimmerte leise. Dann blickte ich nochmals auf, und da kam die Begum. Ihr Sari blähte sich wie ein großer Ballon, und ihr Haar hatte sich gelöst. Ich sah weg, weil es sich nicht schickte, ihr unter die Kleider zu schauen.«
    Rehka und ihre Kinder fielen vorn Everest; niemand überlebte. Das Geflüster gab Gibril die Schuld. Lassen wir es für den Augenblick dabei bewenden.
    Ach ja, denken Sie daran: Er sah sie nach ihrem Tod. Er sah sie mehrmals. Es dauerte lang e, bis die Leute begriffen, wie krank der große Mann war. Gibril, der Star. Gibril, der die Namenlose Krankheit besiegte. Gibril, der den Schlaf fürchtete.
    Nachdem er verschwunden war, begannen die allgegenwärtigen Abbildungen seines Gesichts zu verwittern.
    Auf den riesigen grell bemalten Plakatwänden, von denen er die Volksmenge überblickt hatte, schuppten sich seine trägen Augenlider und blätterten ab, erschlafften mehr und mehr, bis seine Pupillen aussahen wie zwei von Wolken oder von den sanften Messern seiner langen Wimpern durchschnittene Monde. Schließlich fielen die Lider ab und verliehen seinen gemalten Augen einen wilden, rollenden Blick. Vor den Kinopalästen in Bombay sah man kolossale Gibrilfiguren aus Pappmache, die verrotteten und sich zur Seite neigten. Kraftlos hingen sie an den Stützgerüsten, verloren die Arme, verwelkten, knickten am Hals ein. Seine Fotos auf den Titelseiten der
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