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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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Mutter geehrt hatte, »meine Mummyji, Spoono, meine eine und einzige Mamo, denn sie war’s, die mit der ganzen Engelgeschichte angefangen hat, ihren persönlichen Engel nannte sie mich, Farishta, weil ich offenbar so verdammt lieb war, ob du es glaubst oder nicht, ich war ein verdammt goldiges Kind.«
    Poona konnte ihn nicht halten. In zartem Kindesalter brachte man ihn in die Hure Stadt, seine erste Reise; sein Vater bekam einen Job bei den leichtfüßigen Vorbildern künftiger Rollstuhlquartette, den Essensträgern oder Dabbawallas von Bombay. Und Ismail, der Farishta, trat mit dreizehn in die Fußstapfen seines Vaters.
    Gibril, Gefangener an Bord der AI-420, verfiel in verzeihliche Schwärmereien, fixierte Chamcha mit leuchtenden Augen und erläuterte ihm die Geheimnisse des Kodesystems der Läufer, schwarzes Hakenkreuz roter Kreis gelber Schrägstrich Punkt, lief im Geiste die ganze Strecke von zu Hause bis zu einem Büroschreibtisch; dieses unglaubliche System, mit dessen Hilfe zweitausend Dabbawallas, jeden Tag über hunderttausend Henkelmänner ablieferte n, und an einem schlechten Tag, Spoono, verirrten sich vielleicht fünfzehn, wir waren fast alle Analphabeten, aber die Zeichen waren unsere Geheimsprache.
    Die Bostan kreiste über London, bewaffnete Terroristen patrouillierten in den Gängen, die Lichter in den Passagierabteilen waren ausgeschaltet, doch Gibrils Energie erhellte das Halbdunkel. Auf der fleckigen Filmleinwand, auf der früher die unvermeidliche Ungeschicklichkeit von Walter Matthau kummervoll in die ätherische Allgegenwart von Goldie Hawn gestolpert war, bewegten sich Schatten, projiziert von den wehmütigen Erinnerungen der Geiseln, und der am schärfsten umrissene war dieser hochaufgeschossene Halbwüchsige, Ismail Najmuddin, Mamas Engel mit der Ghandikappe, der mit dem Tiffins durch die Stadt lief. Der junge Dabbawalla sprang behände durch das Gedränge der Schatten, denn er war an solche Verhältnisse gewöhnt, denk nur, Spoono, stell dir vor, dreißig, vierzig Tiffins auf einem langen Holztablett auf dem Kopf, und wenn der Zug stehenbleibt, hast du vielleicht eine Minute Zeit, um dich hinein-oder hinauszuquetschen, und dann rennst du durch die Straßen, dahin, yaar, zwischen Lastautos, Bussen, Motorrollern, Fahrrädern und allem möglichen, einszwei, einszwei, Essen, Essen, die Dabbas müssen durchkommen, und im Monsunregen die Bahnlinie entlang, wenn der Zug steckengeblieben ist, oder bis zur Hüfte im Wasser auf einer überfluteten Straße, und es gab Banden, Salad Baba, wirklich, organisierte Banden, die es auf die Dabbas abgesehen hatten, das ist eine hungrige Stadt, Herzchen, das brauch ich dir nicht zu sagen, aber wir wurden mit ihnen fertig, wir waren überall, wussten alles, kein Dieb entwischte unseren Augen und Ohren, wir gingen nie zur Polizei, wir passten selbst auf uns auf.
    Am Abend kehrten Vater und Sohn todmüde zu ihrer Baracke neben der Rollbahn des Flughafens von Santacruz zurück, und wenn die Mutter Ismail kommen sah, erleuchtet vom Grün Rot Gelb der startenden Flugzeuge, sagte sie immer, dass all ihre Träume wahr würden, wenn sie ihn nur ansähe; das war das erste Anzeichen dafür, dass etwas Besonderes an Gibril war, denn von Anbeginn an, so schi en es, konnte er die geheimsten Wünsche der Menschen erfüllen, ohne die leiseste Ahnung zu haben, wie er das machte. Seinem Vater, Najmuddin Senior , schien es nie etwas auszumachen, dass seine Frau nur Augen für ihren Sohn hatte, dass die Füße des Jungen allabendlich massiert wurden, wogegen die des Vaters ungestreichelt blieben. Ein Sohn ist ein Segen, und ein Segen erfordert die Dankbarkeit der Gesegneten.
    Naima Najmuddin starb. Ein Bus überfuhr sie, und damit hatte es sich, Gibril war nicht in der Nähe, um ihre Gebete um Leben zu erhören. Weder Vater noch Sohn sprachen je über ihre Trauer. Schweigend, als ob es üblich wäre und von ihnen erwartet würde, begruben sie ihren Kummer unter zusätzlicher Arbeit und nahmen einen unausgesprochenen Wettkampf auf, wer die meisten Dabbas auf dem Kopf tragen konnte, wer die meisten neuen Verträge pro Monat abschließen, wer schneller laufen konnte, als ob größere Mühe größere Liebe bedeuten würde. Wenn er seinen Vater am Abend sah, mit den knotig hervortretenden Adern im Nacken und an den Schläfen, verstand Ismail Najmuddin, welchen Groll der ältere Mann gegen ihn hegte und wie wichtig es für den Vater war, den Sohn zu besiegen und so die
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