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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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widerrechtlich geraubte Vorrangstellung in der Liebe seiner toten Frau wiederzugewinnen. Nachdem er das begriffen hatte, nahm sich der Junge mehr Zeit, aber der Eifer seines Vaters war unerbittlich, und sehr bald wurde er befördert, war nicht länger ein einfacher Läufer, sondern einer der für die Organisation zuständigen Muqaddams. Als Gibril neunzehn war, wurde Najmuddin Senior Mitglied der Essensläufergilde, der Bombay Tiffin Carriers’ Asso ciation , und als Gibril zwanzig war, war sein Vater tot, urplötzlich von einem Schlaganfall getroffen, der ihn nahezu auseinanderriss . »Er hat sich in Grund und Boden gelaufen«, sagte der Generalsekretär der Gilde, Babasaheb Mhatre persönlich. »Der arme Teufel, es ist ihm einfach der Dampf ausgegangen.« Aber das Waisenkind wusste es besser.
    Gibril wusste , dass sein Vater schließlich ausdauernd und lange genug gelaufen war, um die Grenze zwischen den Welten abzutragen, er war eindeutig aus seiner Haut gefahren und in die Arme seiner Frau gerannt, der er damit ein für allemal die Überlegenheit seiner Liebe bewiesen hatte. Manche Auswanderer sind froh abzureisen.
    Babasaheb Mhatre saß in einem blauen Büro hinter einer grünen Tür über einem labyrinthischen Basar, eine ehrfurchtgebietende Gestalt, fett wie ein Buddha, eine der bedeutenden, treibenden Kräfte der Riesenstadt, er besaß die geheimnisvolle Gabe, völlig reglos zu verharren, sich nicht aus dem Zimmer zu rühren, und dennoch an allen wichtigen Orten zu sein und mit jedem zusammenzutreffen, der in Bombay etwas zu sagen hatte. Am Tag, nachdem der Vater des jungen Ismail über die Grenze zu Naima gelaufen war, rief der Babasaheb den jungen Mann zu sich. »Also? Ganz durcheinander, oder wie?« Die Antwort, mit niedergeschlagenen Augen: Ja, danke, Babaji, es geht. »Halt die Klappe«, sagte Babasaheb Mhatre. »Ab heute wohnst du bei mir.« Aber, Babaji… »Kein Aber. Ich habe meiner Frau schon Bescheid gesagt. Ich habe gesprochen.« Bitte um Entschuldigung Babaji aber wie was warum? »Ich habe gesprochen.«
    Gibril Farishta erfuhr nie, warum der Babasaheb beschlossen hatte, Mitleid mit ihm zu haben und ihn von den Straßen ohne Zukunft aufzulesen, aber nach einer Weile dämmerte es ihm.
    Mrs. Mhatre war eine dünne Frau, wie ein Bleistift neben dem Tintenfass von Babasaheb, aber sie war so voller Mutterliebe, dass sie eigentlich dick wie eine Kartoffel hätte sein müssen.
    Wenn der Baba nach Hause kam, steckte sie ihm eigenhändig Süßigkeiten in den Mund, und abends konnte der neue Mitbewohner hören, wie der große Generalsekretär der BTCA protestierte: Lass mich, Frau, ich kann mich selbst ausziehen.
    Beim Frühstück fütterte sie Mhatre mit großen Malzportionen, und bevor er zur Arbeit ging, bürstete sie ihm das Haar. Sie waren ein kinderloses Ehepaar, und der junge Najmuddin begriff, dass der Babasaheb die Last mit ihm teilen wollte.
    Komischerweise jedoch behandelte die Begum den jungen Mann nicht wie ein Kind. »Aber er ist doch erwachsen«, sagte sie zu ihrem Mann, als d er arme Mhatre flehte: »Gib dem Jungen den verdammten Löffel Malz.« Ja, erwachsen, »wir müssen einen Mann aus ihm machen, Liebster, wir dürfen ihn nicht verzärteln.« »Verdammt noch mal«, explodierte der Babasaheb, »warum machst du es dann mit mir?« Mrs. Mhatre brach in Tränen aus. »Aber du bist doch mein Alles«, schluchzte sie, »du bist mein Vater, mein Geliebter und auch mein Baby. Du bist mein Herr und mein Säugling. Wenn ich dir missfalle , dann habe ich kein Leben.«
    Babasaheb Mhatre ergab sich in sein Schicksal und schluckte den Löffel Malz hinunter.
    Er war ein gütiger Mann, was er unter Beschimpfungen und polterndem Benehmen verbarg. Um den verwaisten Jungen zu trösten, sprach er im blauen Büro mit ihm über die Philosophie der Wiedergeburt und überzeugte ihn davon, dass der Wiedereintritt seiner Eltern irgendwo anders schon geplant war, außer natürlich sie hätten ein so frommes Leben geführt, dass sie die höchste Gnade erlangt hätten. Es war also Mhatre, der ihn auf die Sache mit der Wiedergeburt brachte, und nicht nur Wiedergeburt. Der Babasaheb war ein Amateurokkultist, ein Tischbeinklopfer und Flaschengeistbeschwörer. »Aber das habe ich aufgegeben«, sagte er zu seinem Schützling unter vielen angemessen melodramatischen Krümmungen, Gesten und Stirnrunzeln, »nachdem ich den Schreck meines Lebens bekommen habe.«
    Einmal (so erzählte Mhatre) hatte ein höchst kooperativer
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