Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
gesprochen. Eine kleine Rolle für den Anfang, alles weitere liegt an dir. Jetzt geh mir aus den Augen und hör auf, so ergeben dreinzuschauen, das ist nicht angemessen.«
    »Aber Onkel -«
    »Ein Junge wie du sieht viel zu gut aus, um sein ganzes Leben Tiffins auf dem Kopf zu tragen. Mach dich auf die Socken, verschwinde, und werde ein schwuler Filmschauspieler. Vor fünf Minuten habe ich dich entlassen.«
    »Aber Onkel -«
    »Ich habe gesprochen. Danke deinem Glücksstern.«
    Er wurde zu Gibril Farishta, aber es dauerte vier Jahre, bis er ein Star wurde; zunächst absolvierte er seine Lehrzeit in einer Reihe von kleineren komischen Klamaukrollen. Er blieb ruhig, gelassen, als könnte er in die Zukunft blicken, und sein offensichtlicher Mangel an Ehrgeiz machte ihn in dieser selbstsüchtigsten aller Branchen zu einem Außenseiter. Man hielt ihn für dumm oder arrogant oder beides. Und während dieser vier Jahre in der Wüste gelang es ihm nicht, auch nur eine einzige Frau auf den Mund zu küssen.
    Auf der Leinwand spielte er den Betrogenen, den Dummkopf, der die Schöne liebt und nicht begreift, dass sie sich um nichts in der Welt mit ihm einlassen würde, den komischen Onkel, den armen Verwandten, den Dorftrottel, den Diener, den erfolglosen Gauner, keine einzige Rolle, die für eine Liebesszene in Frage gekommen wäre. Die Frauen traten ihn mit Füßen, ohrfeigten ihn, foppten ihn, lachten ihn aus, doch niemals warfen sie ihm auf dem Zelluloid einen Blick zu, noch sangen oder tanzten sie für ihn mit Kinoliebe im Blick. Außerhalb der Leinwand lebte er allein in zwei leeren Zimmern in der Nähe der Studios und versuchte, sich vorzustellen, wie Frauen aussahen, wenn sie nichts anhatten. Um sich von den Themen Liebe und Begierde abzulenken, bildete er sich weiter, wurde zu einem allesfressenden Autodidakten, der die metamorphen Mythen der klassischen Antike verschlang, die Avataras des Jupiter, den Jungen, der zu einer Blume wurde, die Spinnenfrau, Circe, alles; und die Theosophie von Annie Besant und die Feldtheorie und die Episode der Satanischen Verse aus einem frühen Stadium der Laufbahn des Propheten und Mohammeds Haremspolitik nach seiner triumphalen Rückkehr nach Mekka; und den Surrealismus der Tageszeitungen, in denen Schmetterlinge jungen Mädchen in den Mund flogen und darum baten, verzehrt zu werden, und Kinder ohne Gesichter geboren wurden, und Jungen in undenkbarer Ausführlichkeit von früheren Inkarnationen träumten, zum Beispiel als goldenes Schloss voller Edelsteine. Er fraß sich vo ll mit Gott weiß was, aber er konnte nicht leugnen, dass er in den frühen Morgenstunden seiner Schlaflosigkeit erfüllt war von etwas, das noch nie genützt worden war, das er noch nicht zu nutzen verstand, nämlich von Liebe. In seinen Träumen wurde er gepeinigt von Frauen von unerträglicher Lieblichkeit und Schönheit, und deshalb blieb er lieber wach und zwang sich, einen Teil seines Allgemeinwissens zu wiederholen, um das tragische Gefühl auszulöschen, mit einer größeren Liebesfähigkeit als üblich ausgestattet zu sein, ohne diese auch nur einer einzigen Person auf der Welt darbieten zu können.
    Sein großer Durchbruch gelang ihm mit dem Populärwerden der theologischen Filme. Sobald sich das Rezept für Filme, die auf den Puranas basierten und denen die übliche Mischung von Liedern, Tänzen, komischen Onkeln und so weiter beigefügt war, bezahlt gemacht hatte, bekam jeder Gott im Pantheon seine oder ihre Chance, ein Star zu werden. Als D.W. Rama eine Produktion plante, die auf die Geschichte von Ganesh zurückging, hatte keiner der damals tonangebenden Kassenmagneten Lust, einen ganzen Film über versteckt im Inneren eines Elefantenkopfs zu agieren. Gibril ergriff diese Chance mit beiden Händen. Es war sein erster Erfolg, Ganpati Baba, und plötzlich war er ein Superstar, aber nur mit Rüssel und riesigen Ohren. Nachdem er in sechs Filmen den elefantenköpfigen Gott verkörpert hatte, gestattete man ihm, die dicke, schwankende graue Maske ab-und statt dessen einen langen behaarten Schwanz anzulegen, um in einer Serie von Abenteuerfilmen den Affenkönig Hanuman zu spielen, die einer gewissen billigen, aus Hongkong stammenden Fernsehserie mehr verdankte als dem Ramayana. Diese Serie erwies sich als so beliebt, dass Affenschwänze für die jungen Stutzer der Stadt bald zu einem Muss wurden, wenn sie zu Partys gingen, die von Klosterschülerinnen besucht wurden, die man ihrerseits wegen der Bereitschaft,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher