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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse
Autoren: Salman Rushdie
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Bedingung«, hatte Changez Chamchawala boshaft zur Auflage gemacht, » dass der Schlingel das Geschenk annimmt, das er zuvor verschmähte, nämlich das in Solan, Himachal Pradesh gelegene requirierte Schulhaus.« Changez mochte einen Walnussbaum gefällt haben, aber er unternahm nie den Versuch, Salahuddin aus dem Testament zu streichen.
    Die Häuser in Pali Hill und Scandal Point waren allerdings aus dieser Verfügung ausgeklammert. Das erstere ging vollständig an Nasreen Chamchawala, das letztere wurde mit sofortiger Wirkung alleiniger Besitz von Kasturbabai, die sofort ihre Absicht kundtat, das alte Haus an Makler zu verkaufen. Das Anwesen war Millionen wert, und Kasturba neigte, was Grundbesitz anging, nicht zu Sentimentalitäten. Salahuddin protestierte lautstark und wurde knallhart abgeschmettert. »Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht«, teilte sie ihm mit.
    »Also habe ich allein zu bestimmen.« Nasreen Chamchawala stand dem Schicksal des alten Hauses völlig gleichgültig gegenüber. »Ein Wolkenkratzer mehr, ein Stück altes Bombay weniger«, sagte sie achselzuckend. »Wo ist der Unterschied?
    Städte ändern sich.« Sie bereitete schon ihren Umzug nach Pali Hill vor, nahm die Schmetterlingskästen von der Wand, versammelte die ausgestopften Vögel in der Eingangshalle.
    » Lasse doch«, sagte Zeeny Vakil. »In dem Museum könntest du sowieso nicht leben.«
    Natürlich hatte sie Recht ; kaum hatte er sich entschlossen, der Zukunft ins Auge zu blicken, als er auch schon herumhing und das Ende seiner Kindheit beklagte. »Ich bin auf dem Sprung zu einem Treffen mit George und Bhupen, du erinnerst dich«, sagte sie. »Komm doch mit. Du brauchst wieder Anschluss in der Stadt.« George Miranda hatte soeben einen Dokumentarfilm über den Kommunalismus beendet, für den er Hindus und Moslems mit den unterschiedlichsten Ansichten interviewt hatte. Fundamentalisten beider Religionen hatten sofort gerichtliche Anordnungen zu erwirken versucht, um die Aufführung des Films zu verh indern, und obwohl das Bombayer Gericht diesen Anträgen nicht entsprochen hatte, war der Fall vor den Obersten Gerichtshof gekommen. George, noch stoppeliger am Kinn, das Haar noch strähniger, und der Bauch noch wuchernder, als Salahuddin in Erinnerung hatte, trank in einer Dhobi Talao-Kneipe Rum und hämmerte mit pessimistischen Fäusten auf den Tisch. »Das ist das Oberste Gericht, das sich mit Sah Bano einen Namen gemacht hat«, rief er, womit er sich auf den berühmt-berüchtigten Fall bezog, in dem das Gericht unter dem Druck islamischer Extremisten entschieden hatte, dass Unterhaltszahlungen dem Willen Allahs entgegenstanden, und damit Indiens Gesetze noch reaktionärer auslegte als beispielsweise pakistanische Richter die Gesetze ihres Landes. »Ich habe also nicht viel Hoffnung.« Verzweifelt zwirbelte er die wächsernen Enden seines Schnurrbarts. Seine neue Freundin, eine große dünne Bengalin mit kurzgeschnittenem Haar, die Salahuddin etwas an Mishal Sufyan erinnerte, ergriff die Gelegenheit zu einer Attacke gegen Bhupen Gandhi, weil dieser einen Gedichtband über seinen Besuch in der »kleinen Tempelstadt« Gagari in den West Ghats veröffentlicht hatte. Die Gedichte waren von der Hindu-Rechten kritisiert worden; ein bedeutender südindischer Professor hatte verkündet, dass Bhupen »das Recht verwirkt« habe, »sich einen indischen Dichter zu nennen«, aber nach Ansicht der jungen Frau, Swatilekha, war Bhupen von der Religion zu einer gefährlichen Doppeldeutigkeit verführt worden. Bhupen, graue Haare ernsthaft herabfallend, verteidigte sich mit leuchtendem Mondgesicht. »Ich habe gesagt, dass Gagaris einzige Ernte die Steingötter sind, die aus dem Bergen gebrochen wurden. Ich habe von Legendenherden gesprochen, die unter dem Klingeln heiliger Kuhglocken an den Hängen grasen. Das sind keine doppeldeutigen Bilder.« Swatilekha war nicht überzeugt.
    »Heutzutage«, beharrte sie, »müssen unsere Positionen kristallklar vertreten werden. Jede Metapher kann einer Fehlinterpretation unterliegen.« Sie legte ihre Theorie dar. Die Gesellschaft sei von, wie sie es nannte, großen Erzählungen orchestriert: Geschichte, Wirtschaft, Ethik. In Indien habe die Entwicklung eines korrupten und undurchdringlichen Staatsapparats »die Vo lksmassen vom ethischen Projekt ausgeschlossen«. Die Folge sei, dass sie ihre ethische Befriedigung in der ältesten der großen Erzählungen, nämlich der Religion suchten. »Diese Erzählungen aber
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