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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes
Autoren: Abbie Taylor
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öffnete Dawn das Gartentor. Auf Zehenspitzen schlich sie über den schwarzbraun gefliesten Gartenpfad. Die Haustür stand offen. Drinnen bewegte sich nichts. Dawn blieb auf der Schwelle stehen und lauschte. Sie war so hellwach und angespannt, dass sie jeden Atemzug und selbst das leiseste Knarren gehört hätte. Aber sie hörte – nichts.
    In der Küche blieb sie vor der geöffneten Schublade stehen. Sie konnte es immer noch nicht fassen, aber nun war keine Zeit zum Nachdenken. Sie hatte zu tun. Sie könnte es sich immer noch anders überlegen. Es war noch nicht zu spät, ihre Meinung zu ändern. Aber Will durfte nicht
entkommen. Clive war nur seinetwegen gestorben. Nun wusste sie endlich, wer der Erpresser war. Solange Will frei herumlief, wäre sie nicht mehr sicher. Genauso wenig wie Mr. Farnley und all die anderen alten Leute, die Will künftig zum Opfer fallen würden.
    Mit ruhigen, geübten Handgriffen erledigte sie, was zu erledigen war. Es ging schneller, als sie gedacht hatte. Danach räumte sie die Küche auf, spülte die Kaffeekanne und packte die Filter weg, wischte die Flecken an der Schublade und am Boden auf. Wills Becher spülte sie besonders gründlich aus. Sie wollte nicht, dass Will in ihrem Haus Spuren hinterließ.
    Als alles blitzsauber war, ging sie nach oben, um sich umzuziehen. Bevor sie das Schlafzimmer verließ, blieb sie noch einmal vor dem Spiegel an der Schranktür stehen. Sie strich ihre Uniform glatt, zog sich die Strümpfe zurecht, klemmte das Namensschild an die Tasche und zerrte am Gürtel, bis die Schnalle genau in der Mitte saß. Erst als sie zufrieden war und alles genau so, wie es sein sollte, nahm sie Handtasche und Jacke und verließ das Haus.
     
    Der Bus legte die vertraute Strecke zum Krankenhaus im Schneckentempo zurück. Will hatte recht gehabt, was den Verkehr anging. Die Autos standen Stoßstange an Stoßstange und kamen kaum voran. Für die paar hundert Meter zwischen Tooting Bec und Trinity Road brauchten sie zwanzig Minuten. An der Ecke von Trinity Road und Wandsworth Common blieb der Bus stehen. Blau-weiße Absperrbänder blockierten den Weg. Keine Durchfahrt .
    »Endstation«, rief der Busfahrer. »Alle aussteigen!«
    Die Polizisten vor der Absperrung trugen gelbe Warnwesten und waren damit beschäftigt, Autofahrer und Fußgänger in verschiedene Richtungen zu dirigieren. Dawn sprach einen von ihnen an.

    »Hat die Absperrung etwas mit dem Zugunglück zu tun?«
    »Ja, Madam. Wir müssen die Straßen für die Einsatzfahrzeuge frei halten.«
    »Ich bin Oberschwester im St. Iberius.« Dawn zeigte ihm ihr Namensschild. »Ich glaube, ich werde dort gebraucht.«
    Der Polizist musterte das Schild. Er sah Dawns Schwesternuniform unter der Regenjacke und hob das Absperrband für sie hoch. »Bitte sehr, Schwester. Ist es in Ordnung, wenn Sie den Rest der Strecke zu Fuß zurücklegen?«
    »Ja, natürlich.«
    Der Park war menschenleer. Dawn eilte zwischen den Bäumen hindurch, ein heller Fleck im fahlvioletten Lampenlicht. Der Schein blendete sie und erfüllte sie mit einem Gefühl der Vorahnung. Ihre Lethargie und Unschlüssigkeit waren wie weggeblasen. Je näher sie dem Krankenhaus kam, desto wacher fühlte sie sich, desto aufrechter wurde ihr Gang, desto schneller klopfte ihr Herz.

Kapitel 21
    Noch bevor sie das Ende der Northcote Road erreicht hatte, sah sie die Armada aus Polizeimotorrädern, Krankenwagen und blauen Warnlichtern. Die Falcon Road unterhalb des Krankenhauses hatte sich in ein Trümmerfeld voller zerquetschter Autos verwandelt. Von der halb eingestürzten Eisenbahnbrücke baumelte ein Waggon herunter; er hing über der Straße wie ein Kleidungsstück von der Leine. Oben auf der Brücke waren zwei Züge frontal zusammengestoßen und ragten nun in die Höhe. Sie bildeten eine Art Dreieck, das sich wie ein qualmender Wigwam vom Himmel abhob. Es roch nach Rauch und Diesel. Am seltsamsten erschien ihr die Stille. Keine Schreie, kein Geheul. Nur ein fernes Scheppern war zu hören und gelegentlich die Rufe der Männer in Orange.
    Dawn lief um die Trümmer herum und zum Krankenhaus hinauf. Eine Gruppe von Männern marschierte mit einer Trage vorbei, einer von ihnen hielt einen Infusionsbeutel in die Höhe. Viele der Verletzten hatten sich aus eigener Kraft den Hügel hinaufgeschleppt. Wie gespenstische graue Schatten wankten sie heran, die Kleider zerrissen, die Gesichter mit Blut und Ruß verschmiert.
    Am Eingang zur Notaufnahme musste Dawn wieder ihren Ausweis
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