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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes
Autoren: Abbie Taylor
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vorzeigen. Eine Polizeikette wies jeden ab, der nicht verletzt war oder zum Klinikpersonal zählte. Drinnen endete dann das unheimliche Schweigen, das über der Szenerie gelegen hatte. Für eine Sekunde glaubte Dawn, in einem
Gemälde von Hieronymus Bosch zu stehen. Überall lagen Menschen herum, verdreckt, blutend und stöhnend, manche auf Tragen, andere auf dem Fußboden. Auf den Fliesen waren Verbandverpackungen, leere Infusionsbeutel und blutdurchtränkte Verbände verstreut. Wenn irgendwo ein Vorhang aufgerissen wurde, kamen dahinter nur noch mehr Verletzte und Verwundete zum Vorschein. Irgendwo piepte ein Alarm. Die verschreckten Schwestern liefen eilig hin und her.
    »Wo finde ich Null negativ?«
    »Wir brauchen mehr Kanülen!«
    Die Türen der Notaufnahme flogen auf. Eine weitere Trage wurde hereingebracht.
    »Schwerste Quetschungen«, rief jemand, »wir müssen das Bein amputieren!«
    Maria, eine kleine, mollige Schwester der Unfallstation, trat heran und fuchtelte mit den Armen: »Wir haben keinen Platz mehr, ihr müsst ihn woanders hinbringen!«
    »Das geht nicht, Schätzchen«, sagte einer der Helfer, »das überlebt er nicht.«
    Dawn wandte sich an ihn. »Warum bringen Sie immer noch mehr Leute her? Sie sehen doch, dass wir völlig überbelegt sind. Allein hier unten halten sich mindestens dreihundert Verletzte auf!«
    »Wir können nirgendwo sonst hin«, erklärte der Mann. »Die Straßen sind unpassierbar. Wir tun unser Bestes, sie freizuräumen, aber bis das geschehen ist, haben wir keine Wahl.«
    Marias kurze Haare standen ihr vom Kopf ab wie Igelstacheln. »Wir haben gleich kein Verbandmaterial mehr«, beklagte sie sich bei Dawn. »Und keine Spritzen. Und kein Personal. Ich weiß gar nicht, wie die sich das vorstellen.«
    Dawn ließ den Blick über die verletzten Menschen
schweifen. »Vielleicht können wir sie auf das Krankenhaus verteilen? Um die Notaufnahme zu entlasten.«
    »Wir sind schon dabei. Aber wir haben keine Vorwarnung bekommen, alle Stationen und OP-Räume sind belegt. Wir wissen nicht, wohin mit den Leuten.«
    Wieder flogen die Türen auf. Ein weiterer Verletzter wurde hereingetragen. Sein Gesicht war blutverschmiert.
    Dawn sagte zu Maria: »Geben Sie mir eine Stunde. Ich werde sehen, was sich machen lässt.«
    Sie fuhr mit dem Aufzug zur Station hinauf. Nach dem Chaos unten in der Notaufnahme kam ihr der Flur im sechsten Stock himmlisch ruhig vor. Er war noch leerer als an einem gewöhnlichen Abend, denn alle Mitarbeiter hatten zu tun. Der Lärm hob wieder an, als Dawn die Station betrat. Elspeth, Trudy und Pam standen um ein Bett herum. Der Boden darunter war voller Blut. Dawn lief an der langen Reihe aus Betten vorbei, auf denen die anderen Patienten verschreckt hinter ihren Vorhängen saßen. Sie tuschelten und flüsterten. »Da ist sie … die Oberschwester ist gekommen … jetzt wird alles gut.«
    Der neue Patient, ein junger Mann in schmutziger Kleidung, lag gekrümmt auf der Matratze. Seine Hose war aufgeschnitten worden und bedeckte nur noch ein Bein. Einer der Assistenzärzte aus der Chirurgie, ein kleiner, hagerer Mann mit ausgeprägtem Adamsapfel, drückte mit voller Kraft auf einen Stapel Papiertücher in der Leiste des Mannes. Das Blut quoll hindurch und tropfte auf die Laken. Die entsetzte Trudy wühlte im Notfallwagen herum.
    »Mull«, keifte der Arzt, »ich brauche Mull, verdammt!«
    »Was ist hier los?«, fragte Dawn.
    »Schwester!« Elspeth drehte sich zu ihr um. »Der Patient wurde vor einer halben Stunde von der Notaufnahme raufgeschickt … Die haben gesagt, er sei stabil, aber er war keine
zehn Minuten hier, als seine Wunde aufgeplatzt ist. Wir können nicht … Die Blutung hört einfach nicht auf, und ich kann die Verbände nicht finden, die Dr. Grove haben will …«
    »Unterste Schublade«, sagte Dawn zu Trudy. »Im großen Schrank im Lagerraum. Mull und Arterienklemmen. Beeil dich.«
    Trudy rannte los. Sekunden später war sie zurück und riss die Verpackungen auf. Der Arzt nahm den Mull, faltete ihn zu einem Rechteck zusammen und drückte ihn dem Patienten in die Leiste.
    »Die Blutung lässt nach«, erklärte er erleichtert.
    »Halten Sie den Druck«, sagte Dawn. »Ich werde im OP anrufen und fragen, wann sie ihn reinnehmen.«
    Sie erledigte das Telefonat und ließ den jungen Mann auf die Notfallliste setzen. »Ich kann Ihnen noch keine Uhrzeit sagen«, erklärte Dilly vom OP-Team, »wir werden ihn, so schnell es geht, operieren, aber im Moment steht
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