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Die sanfte Hand des Todes

Die sanfte Hand des Todes

Titel: Die sanfte Hand des Todes
Autoren: Abbie Taylor
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Körper wandte sich Dawn zu. Das hektische Blip-Blip des EKGs beruhigte sich. Dawn spürte, wie eine stille, vertraute Zufriedenheit sie erfüllte. Sie liebte ihren Beruf, und sie erledigte auch die praktischen Aspekte gern – die Ausbildung des Nachwuchses, die Verwaltungsaufgaben –, aber sie lebte für Momente wie diesen, für die Zeit mit den Patienten. Allein darauf kam es an.
    »Wahrscheinlich werden Sie Ihre Pflegetätigkeit zurückfahren müssen, nun, da Sie zur Oberschwester befördert worden sind«, hatte Claudia Lynch vom Personalbüro zu ihr gesagt. »Mit der Verwaltung und den Konferenzen werden Sie mehr als genug um die Ohren haben. Die praktischen Arbeiten sollten Sie an andere delegieren. Sie müssen das jetzt nicht mehr machen.«
    Aber Dawn hatte darauf bestanden, auf der Station zu bleiben. Ja, es bedeutete eine Menge mehr Arbeit. Einen großen Teil der Verwaltungs- und Büroarbeiten würde sie in ihrer Freizeit erledigen müssen. Aber sie wollte nicht den ganzen Tag in einem Büro sitzen, Formulare ausfüllen, ihre Zeit in endlosen Meetings vergeuden und die Patienten aus den Augen verlieren. Sie wollte auch weiterhin in der ersten Reihe stehen, den Finger am Puls der Station haben. Schließlich war sie nur deswegen Krankenschwester geworden, weil sie mit Menschen arbeiten wollte.

    Und wenn sie bestimmte Patienten am liebsten mochte, dann die alten. Junge Patienten waren meist selbstbewusst und gut informiert, wurden von Familie und Freunden unterstützt. Die alten hingegen waren oft hilflos und allein, ertrugen ihr Schicksal dennoch mit stoischer Ruhe. Sie beschwerten sich nie und waren fest entschlossen, niemandem zur Last zu fallen.
    Mrs. Walker klammerte sich so an Dawns Hand fest wie zuletzt Dora. Dora, die sich immer geweigert hatte, ins Krankenhaus zu gehen, wo man ihr hätte helfen können. Mrs. Walker hingegen war gekommen. Mrs. Walker war noch zu helfen. Vorsichtig strich Dawn ihr eine Haarsträhne aus der feuchten Stirn.
    »Bald wird es Ihnen besser gehen«, flüsterte sie. »Keine Sorge. Bei mir sind Sie in guten Händen.«
     
    Im Lauf der folgenden Tage hatte es jedoch den Anschein, als würde sich Mrs. Walkers Zustand trotz der regelmäßigen Morphiumgaben zusehends verschlechtern. Manchmal wurde die alte Frau von Krämpfen geschüttelt; dann lag sie steif und zitternd im Bett und riss die Augen auf, während die Wellen von Kopf bis Fuß über sie hinwegrollten. Dawn verbrachte immer mehr Zeit an ihrer Seite und machte sich immer größere Sorgen.
    »Es muss doch irgendwas geben, das wir für sie tun können«, sagte sie mit fester Stimme, als sie Professor Kneebone nach der Abendvisite kurz für sich allein hatte.
    Ein gereizter Ausdruck trat auf Professor Kneebones fülliges, vom Skilaufen gebräuntes Gesicht. »Was denn zum Beispiel? Wir sind uns doch alle einig. Ihr Krebs kann nicht behandelt werden.«
    »Aber der Schmerz«, beharrte Dawn. »Wie wäre es mit einer Operation? Könnte die helfen?«

    »Für einen Eingriff ist sie nicht stabil genug«, entgegnete Professor Kneebone. »Sie würde die Narkose nicht überleben.«
    Sie wurden von Dr. Coulton unterbrochen, der ein wenig abseits gestanden und sich Mrs. Walkers Krankenakte angesehen hatte.
    »Hier steht«, las er vor, »dass sie große Dosen Morphium bekommt. Fast doppelt so viel wie im Altersheim. Seltsam, dass das nicht wirken soll. Sind Sie sicher, dass die Krankenschwestern es ihr wirklich verabreichen?«
    Dawn hielt die Luft an und zählte ganz langsam bis fünf. Was, zum Teufel, glaubte er denn, was sie mit dem Morphium machten? Es unter dem Bett verteilen? Dann erinnerte sie sich daran, dass Dr. Coulton relativ neu in der Klinik war. Er hatte eine Chance verdient. Vermutlich wusste er nicht, dass sie hier die Oberschwester war.
    »Ich habe ihr das Morphium persönlich gegeben«, sagte sie in freundlichem Tonfall. »Es ist wirklich merkwürdig, das muss ich zugeben. Ändern kann ich es nicht.«
    »Vielleicht hat sie gar keine echten Schmerzen«, meinte Dr. Coulton. »Sie wissen ja, sie ist ein bisschen …« Bei diesen Worten ließ er seinen Zeigerfinger an der Schläfe kreisen.
    Dawn warf ihm einen eiskalten Blick zu. »Mrs. Walkers Schwächen sind mir durchaus bekannt. Das heißt nicht, dass sie keine Schmerzen fühlt.«
    Der Kerl war wirklich widerlich. Francine, die normalerweise mit allen Mitarbeitern gut auskam, konnte mit ihm ebenso wenig anfangen wie Dawn.
    »Eingebildeter Lackaffe«, hatte sie erst
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