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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Autoren: Mo Yan
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wird uns auch schmecken!«
    Die Bettler stürzten sich auf mich, drückten mich zu Boden und hatten mir im Nu die Hosen heruntergerissen. In höchster Not rief ich den Achten Zhu an: »Achter Zhu, du bist ein gemeiner Feigling. Weißt du denn nicht, daß mein Vater von Qian Ding ins Gefängnis geworfen wurde und geköpft werden soll?« Der Achte Zhu rollte verächtlich seine flammenden Augen und fragte: »Wer ist denn dein Vater?«
    Ich sagte: »Achter Zhu, spiel mir nichts vor! Ganz China weiß, wer mein Vater ist, und du willst mir weismachen, du kennst ihn nicht? Mein Vater ist Sun Bing aus Dongbei! Mein Vater ist Sun Bing, der die Katzenoper singt, mein Vater ist Sun Bing, der die Eisenbahnschienen aus der Erde gerissen hat, mein Vater ist Sun Bing, Führer der Volksbewegung, die sich mit den deutschen Teufeln angelegt hat!«
    Da drehte sich der Achte Zhu um und verbeugte sich, faltete höflich die Hände vor der Brust und erging sich in Entschuldigungen: »Gnädiges Fräulein, seid mir nicht böse, seht es mir nach! Bin kein weiser Mann und dachte nicht nach. Ich wußte nur, daß Qian Ding Euer Patenonkel ist, aber daß Euer Vater Sun Bing ist, das habe ich nicht gewußt. Qian Ding ist ein verdammter Hurensohn. Sun Bing aber ist ein Held der Nation! Euer Vater ist ein mutiger Mann, der es den ausländischen Teufeln gezeigt hat, ich bewundere ihn von ganzem Herzen. Wenn ich Euch zu Diensten sein kann, gnädiges Fräulein, sagt es mir bitte rundheraus. Kinder, auf die Knie, macht einen Kotau vor der Dame und bittet um Entschuldigung.«
    Und der ganze Bettlerschwarm ging tatsächlich wie ein Mann in die Knie und machte einen Kotau vor mir. Alle schlugen die Stirn auf den staubigen Boden, und riefen im Chor: »Das gnädige Fräulein lebe hoch! Das gnädige Fräulein lebe hoch!« Selbst der haarige Affe auf der Schulter der Göttin ließ von dem Hundebein ab, sprang herab, daß das Dreckwasser aufspritzte, schlug wie die Menschen die Stirn auf den Boden und faltete die Pfoten vor der Brust. Es war ein so grotesker Anblick, daß ich lachen mußte. Der Achte Zhu rief: »Kinder, morgen bringen wir dem gnädigen Fräulein ein paar fette Hunde zum Geschenk!«, doch ich sagte rasch: »Danke, danke, das ist wirklich nicht nötig.« Der Achte Zhu erwiderte: »Nur keine falsche Bescheidenheit. Meine Kinder hier fangen einen Hund leichter als eine Laus im Hosenstall.« Die Bettler grinsten und entblößten gelbe Zähne oder völlig zahnlose Münder. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, daß diese kleinen Bettler doch ein rührender Anblick seien. Sie hatten gar kein so schlechtes Leben. Rotglühend und mit freundlicher Wärme drangen schließlich die Sonnenstrahlen in das Dunkel der Tempelhöhle vor und erhellten die lächelnden Gesichter um mich herum. In meiner Nase begann es zu kitzeln, und mit einemmal standen mir die Tränen in den Augen. Der Achte Zhu fragte: »Gnädiges Fräulein, wollt Ihr, daß wir das Gefängnistor aufbrechen?«
    »Nein, nein, bloß nicht«, sagte ich, »der Fall meines Vaters ist kein gewöhnlicher Fall. Nicht nur die Soldaten des hiesigen Yamen stehen vor dem Gefängnistor Wache. Dieser Knobel hat zusätzlich noch deutsche Teufel als Wachposten aufgestellt.«
    »Siebter Kleiner Hou«, wies der Achte Zhu einen der Bettler an, »mach mal die Runde und wenn du was herausfindest, komm sofort her und berichte!«
    »Zu Befehl!« sagte der Bettler, nahm den vor der Götterstatue liegenden Kupfergong an sich, schulterte sein Bündel und stieß einen Pfiff aus, worauf der Affe mit einem Satz auf seine Schulter sprang. Und so schritt der Siebte Kleine Hou, den Affen tragend, den Gong schlagend und ein Liedchen vor sich hinpfeifend zur Tempelhöhle hinaus. Ich hob den Kopf und meinte, die aus Lehm errichtete Statue der Göttin in einem altertümlichen Glanz aufleuchten zu sehen. Ihr Gesicht schimmerte silbern wie mondglänzendes Wasser, wie Schweißperlen. Göttin, laß deine magischen Kräfte walten! Laß deine Kräfte walten und beschütze meinen Vater!

3.
    Voll neuer Hoffnung kehrte ich nach Hause zurück. Xiaojia war schon aufgestanden und gerade dabei, im Hof die Messer zu wetzen. Freundlich und liebevoll lächelte er mich an, und ich lächelte liebevoll und freundlich zurück. Er befühlte die Klinge des Messers mit den Fingern; da sie offenbar noch nicht scharf genug war, beugte er sich wieder hinunter und wetzte weiter. Ein scharfes Zischen durchschnitt die Luft. Xiaojia trug nur eine braune Schürze,
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