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Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)

Titel: Die Sandelholzstrafe: Roman (German Edition)
Autoren: Mo Yan
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Füßen weg, worauf er sich auf die andere Seite drehte, laut schmatzte, als hätte er gerade etwas Köstliches verspeist und weiterredete, schnarchte und mit den Zähnen knirschte. Aber genug damit, sollte er doch schlafen, der Einfaltspinsel!
    Ich drehte mich um und setzte mich auf. Die Wand war eiskalt. Das Mondlicht verbreitete ringsum seinen wäßrigen Glanz. Die Augen der Hunde hinter dem Zaun leuchteten wie jadegrüne Lämpchen, eins, zwei, drei ... ein Funkeln weit und breit. Die letzten Insekten des Herbstes stießen jämmerliche Laute aus. Der Nachtwächter ging mit klappernden Holzschuhen über das blaue Straßenpflaster. Nach dem hohlen Klang des Holzes hörte ich den lauten Schall des Gongs. Es war Mitternacht. Still und dunkel, alles lag in tiefem Schlaf. Nur ich und die Schweine und die Hunde schliefen nicht. Und auch mein Vater fand keinen Schlaf.
    Da war das nagende Geräusch der Mäuse unter der hölzernen Truhe. Ich warf einen Besenstiel nach ihnen, und die Mäuse huschten davon. In diesem Moment vernahm ich ein winziges Geräusch aus dem Zimmer meines Schwiegervaters, als ob kleine Kügelchen über einen Tisch rollten. Aber der Alte zählte nicht etwa Erbsen, sondern Köpfe. Für jeden Kopf ließ er eine Erbse rollen. Dieser Dreckskerl, selbst im Traum zählte er seine abgeschlagenen Köpfe. Ich sah es vor mir, wie er sein Henkersbeil über dem Nacken meines Vaters hochreißen und ihm den Kopf abhacken würde, sah den Kopf meines Vaters hüpfend die Straße hinunterrollen. Eine Schar von Kindern rannte ihm hinterher. Um den Tritten der Kinder zu entkommen, sprang der Kopf meines Vaters kreuz und quer durch alle Straßen und landete am Treppenaufgang zu unserem Haus und rollte in unseren Hof. Die Hunde schnappten nach ihm. Doch meines Vaters Kopf war gewieft. Sein langer Zopf verwandelte sich in eine Peitsche, mit der er den Hunden ins Auge schlug, so daß sie erschrocken aufjaulend von ihm abließen. Nachdem er seine Verfolger losgeworden war, kullerte der Kopf meines Vaters durch den Hof wie eine Riesenkaulquappe im Wasser, mit dem Zopf als Schwanz ...
    Der Klang des Holzstocks und des Gongs verkündete die vierte Doppelstunde der Nacht und ließ mich aus meinem Alptraum aufschrecken. Ich war schweißgebadet. Nicht nur ein kleines Herz, nein eine ganze Batterie von Herzen hämmerte wie wild in meiner Brust. Mein Schwiegervater nebenan zählte immer noch seine Erbsen. Erst jetzt begriff ich, warum der Alte so furchterregend war. Sein ganzer Körper verströmte eine Aura der Kälte, die selbst von weitem spürbar war. Auch sein Zimmer, obwohl auf der Sonnenseite gelegen, war kalt wie ein Grab, nachdem er kaum ein halbes Jahr darin gewohnt hatte. Nicht einmal die Katzen wagten sich zum Mäusejagen hinein, so klamm und düster war es darin, und ich bekam sofort eine Gänsehaut, sobald ich es betrat. Doch wenn Xiaojia, mein Mann, nichts zu tun hatte, trieb er sich darin herum, klebte an seinem Vater wie ein dreijähriges Kind und ließ sich von ihm Geschichten erzählen. In den letzten heißen Tagen des Sommers dachte er nicht einmal mehr daran, bei mir zu schlafen. Er betrachtete seinen Vater als seine Frau und seine Frau als seinen Vater. Damit das am Tag nicht verkaufte Fleisch nicht anfing zu stinken, hängte er es am Dachbalken des kühlen Zimmers seines Vaters auf. Wer kann behaupten, daß er dumm ist? Und wer kann behaupten, daß er nicht dumm ist? Wenn mein Schwiegervater gelegentlich aus dem Haus ging, zogen sich selbst die bissigsten Hunde in die Ecken zurück und fingen an zu winseln. Düstere Gerüchte wollten wissen, daß selbst die Pappeln, die mein Schwiegervater auf der Straße berührte, mit rauschenden Blättern zu zittern begannen. Und wieder kam mir mein eigener Vater Sun Bing in den Sinn. Ach Vater, diesmal hast du den Bogen wirklich überspannt! Du gleichst dem General An Lushan, der die Gunst der kaiserlichen Lieblingskonkubine Guifei verwirkte, oder dem Banditen Cheng Yaojin, der sich erdreistete, den Geldtransport des Sui-Kaisers auszurauben. Mehr Leid als Glück bringt dein Streben, unrettbar verloren scheint dein Leben! Und ich dachte an Qian Ding, Seine Exzellenz Qian, Absolvent der höchsten Beamtenprüfungen, Kreispräfekt und Staatsbeamter fünften Grades, ein sogenannter Vater des Volkes und mein Pate ... dieser schlaue und hinterhältige Verräter! Wie sagt der Volksmund: »Sieh nicht dem Mönch ins Gesicht, sondern dem Buddha; richte deinen Blick nicht auf den Fisch,
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