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Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter

Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter

Titel: Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
Autoren: Margit Sandemo
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Vase auf dem Tisch gegen ein paar einsame Himmelsschlüssel aus. Heute ist doch mein Geburtstag, dachte sie. Vielleicht könnte ich zur Feier des Tages einen Kuchen backen? Nein, lieber nicht.
    Als sie jünger war, hatte sie das getan. Und der Vater hatte über die Verschwendung geschimpft. Also hatte sie damit aufgehört.
    Siebenundzwanzig Jahre waren auch kein Grund zum Feiern. Besser, man zählte die Jahre nicht mehr.
    Ihre Finger berührten sachte die zarten Blütenköpfe. Ihr Blick wurde träumerisch.
    Sie wußte nicht, wo die Jahre geblieben waren. Sie waren spurlos verschwunden. Einmal vor langer Zeit hatte sie Träume gehabt. Sehnsüchte. Hatte in den einsamen Nächten geweint.
    Inzwischen weinte sie nicht mehr. Und die Träume waren vergessen.
    Wieder erinnerte sie sich an die Worte der Mutter auf dem Sterbebett: »Bleib bei Vater, Hilde! Er hat jetzt nur noch dich. Sei ihm eine gute Tochter!«
    Und Hilde hatte es versprochen und es wirklich versucht. Es war nur manchmal so schwer, denn der Vater war nie zufrieden. Er sah nicht, wenn sie das Haus geschmückt hatte, so gut es sich machen ließ, und er bemerkte nicht die tägliche Arbeit und Fürsorge. Gingen jedoch das Bier oder der Branntwein aus, überschüttete er sie mit Schimpfworten und konnte nicht begreifen, wie er zu so einer faulen Tochter gekommen war.
    Und all die Ungerechtigkeiten, über die er tagaus, tagein zeterte! Was dieser oder jener gesagt hatte. Wie sie auf ihn herabblickten. Aber er würde es ihnen zeigen, die würden sich noch wundern. Auf alten Kränkungen, die Jahre zurücklagen, kaute er herum wie auf alten, längst verdorrten Fleischknochen. Immer und immer wieder dasselbe, vermischt mit neuen Ungerechtigkeiten. Und Hilde mußte sich alles anhören. Wenn sie an den falschen Stellen ja oder nein sagte, wurde er rasend vor Wut, keifte viele Tage lang und fand tausend Fehler an ihr.
    Hilde stand in Gedanken versunken. Das Versprechen, das sie der Mutter gegeben hatte, war ihr heilig. Niemals käme ihr in den Sinn, es zu brechen. Aber…
    Ihre Gedanken wanderten die Jahre zurück, die vergangen waren. Grau waren sie gewesen, eines wie das andere.
    Unbewußt verzog sie den Mund zu einem bitteren Lächeln. Einmal hatte der Vater Besuch gehabt von einem Arbeitskollegen aus Christiania. Ein Henkersknecht auch er. Schmutzig, ältlich, widerlich anzusehen.
    Hatte sie in ihrer Einsamkeit nicht eine Zeitlang abends an ihn gedacht? Denn er war ein lebendiges Wesen, ein Mann, der einzige, den sie seit vielen Jahren zu Gesicht bekommen hatte.
    Wie tief konnte ein Mensch eigentlich sinken? Hilde hatte keinen Spiegel, nicht einmal ein Stück Fensterglas, in dem sie sich betrachten konnte. Alles, was sie hatte, war der Teich unten im Tal. Deshalb wußte sie nicht genau, wie sie aussah. Nicht gar so übel, hatte sie gedacht, als sie achtzehn war. Inzwischen schaute sie nicht mehr in den Teich.
    Aber ihr Haar war schön, das konnte sie natürlich sehen. Goldbraun und niemals geschnitten, daher reichte es ihr bis zu den Kniekehlen, wenn sie es bürstete. Es war dick und kräuselte sich ein wenig an Stirn und Schläfen, und zu den Spitzen hin lockte und wellte es sich.
    Ihre Gedanken flössen in trägem Strom dahin… Ein anderes Mal - ach, wie viele Jahre das jetzt her war - hatte sie zugeschaut, wie andere junge Leute auf der Lichtung im Wald tanzten, und es hatte ihr in der Brust so weh getan. Auf dem Heimweg hatte ein Bursche sie eingeholt. Er bat sie, sich mit ihm in das taufeuchte Gras zu setzen, um zu plaudern. Hilde hatte ihren Ohren nicht getraut. Einer, der freundlich zu ihr sprach - oder überhaupt mit ihr sprach - mit ihr! Er sah nicht besonders anziehend aus, und voller Pickel war er auch, mit ekligen weißen Bartfusseln zwischen den Eiterpusteln. Aber sie hatte getan, worum er sie bat - sich hingesetzt, um zu plaudern. Obwohl sie keine Worte fand, denn die waren schon vor langer Zeit versiegt. Da hatte sein Arm sich um ihre Taille gelegt, und sein Gesicht war ganz dicht an ihrem gewesen. »Du redest doch nicht über das hier, oder?« hatte er geflüstert. »Sonst lachen sie mich bloß aus, und ich werde in der ganzen Gemeinde zum Gespött.«
    Hilde hatte die Augen geschlossen und tief Luft geholt. So einsam bin ich nun doch nicht! hatte sie gedacht. Dann war sie aufgesprungen und davongelaufen, und Tränen der Demütigung und Trostlosigkeit hatten ihren Blick verschleiert.
    Ihre Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Gestern abend war
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