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Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht

Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht

Titel: Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
Autoren: Margit Sandemo
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wirkte. Aber Silje liebte diesen Teil des Hauses, und das schienen alle anderen in der Familie auch zu tun, denn sie kamen mehr als gern zu Besuch.
    Wie sich die Geschichte doch wiederholt, dachte sie bei sich. So wie Meta war auch sie einst nach Lindenallee gekommen - fast ebenso verloren, arm und ausgestoßen. Auf einer so tiefen gesellschaftlichen Stufe, daß man sie fast gar nicht mitrechnen konnte. Ach nein, Meta hatte wohl noch tiefer gestanden. Sie kam aus der alleruntersten Gesellschaftsschicht.
    Aber sie war eine würdige Hausfrau, das mußte Silje zugeben. Meta war überaus tüchtig und so energisch, daß es einem manchmal den Atem verschlagen konnte, und sie war sehr darauf bedacht, alles zu tun, was man von ihr erwartete - und mehr. Silje seufzte zufrieden in ihrem Sessel.
    Sechs Enkelkinder hatte sie nun. Ja, denn sie rechnete Sunniva zu ihren Enkelkindern, obwohl sie eigentlich nicht mit ihr verwandt war. Leider hatte sie nicht die Kraft gehabt, sich um das Kind zu kümmern, deshalb hatten Liv und Dag das liebenswerte kleine Mädchen aufgezogen. Jetzt war sie erwachsen und übernachtete oft auf Lindenallee, denn immer noch half sie Silje gelegentlich im Atelier.
    Sie zählte an ihren Fingern ab: Sunniva, Sols Tochter. Tarald und Cecilie, die wohlgeratenen Kinder von Dag und Liv. Tarald war vielleicht noch etwas ungeformt, was seinen Charakter anging, aber das würde schon noch kommen, wenn er älter und reifer wurde. Und dann Ares drei Buben, Tarjei, Trond und Brand. Wunderbare Enkelkinder, alle zusammen!
    Da kam Yrja auf den Hofplatz. Silje freute sich, sie zu sehen, aber trotzdem dachte sie: Armes hoffnungsloses Kind, kann ihr denn niemand dabei helfen, wenigstens die Haare anständig aufzustecken? Die Kleider waren altmodisch und saßen überhaupt nicht an der formlosen Figur. Die Mutter kümmerte sich nicht im mindesten um das Aussehen ihrer Tochter.
    Jetzt begegneten sich Yrja und Sunniva auf dem Hof. Was für ein Unterschied! Ein unglaublicher Unterschied! Yrja erschien wie ein schwerer, unförmiger Berg neben der kleinen, graziösen Sunniva.
    Silje reckte sich und streckte ihr schmerzendes Bein aus. Es machte ihr in der letzten Zeit arg zu schaffen.
    »Nur die Gicht«, sagte Tengel. »Nichts, worüber man sich sorgen müßte.« Sie hoffte so sehr, daß er recht hatte.
    Hinter ihr betrat jemand das Zimmer, und sie brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, daß es Tengel war. Aber sie drehte sich trotzdem um, denn sie liebte es, ihn anzusehen.
    Haare und Bart waren eisgrau geworden, aber seine Haltung war noch immer so gerade wie die eines Jünglings. Zweiundsiebzig war er jetzt, aber er trug seine Jahre mit großer Würde.
    Die Hand, die sich auf ihre Schulter legte, war sehnig und knochig mit blauen Adern und zeugte von einem langen Leben voller Arbeit. Silje wußte - obwohl sie es nicht erwähnen durfte - , daß er müde und erschöpft war. Sehr erschöpft. Er selbst wollte davon nichts wissen. Immer noch empfing er gelegentlich Kranke, obwohl er darum gebeten hatte, ihn nicht mehr aufzusuchen. Die meisten respektierten das, aber einige wandten sich in der äußersten Not doch an ihn, wenn alles andere nicht geholfen hatte.
    Seine Augen folgten den spielenden Buben, die jetzt wieder nach draußen gekommen waren. »Wann beginnt das Fest?«
    »Erst in einer Stunde. Sie haben noch genug Zeit, sich ordentlich schmutzig zu machen.«
    Tengel lächelte. »Dann werde ich vorher Tarjei hereinrufen.« Silje nickte. Sie wußte, was der hochintelligente Junge ihm bedeutete. Tengel liebte alle seine sechs Enkel, aber Tarjei nahm einen besonderen Platz in seinem Herzen ein. Er war das Kind, auf das er so viele bange Jahre gehofft und gewartet hatte, zwei Generationen hindurch. Das Kind, das sein Alter erleuchtete und ihm zur Freude wurde.
    Auf Wunsch seines Großvaters folgte ihm Tarjei in den Raum, den man vielleicht am besten als Krankenzimmer bezeichnen konnte.
    Tarjei war ein eigenartiger Junge. Er hatte ähnlich hohe Wangenknochen wie Tengel und Are, und auch ihre dunklen Haare, aber in seinen schrägen Augen lag ein anderer Ausdruck. Are hatte nie eine besondere theoretische Begabung gehabt, aber im Kopf dieses Dreizehnjährigen hatte sich der scharfe Verstand von Tengel, Silje und Liv vereint. Von Meta hatte er kaum etwas in dieser Richtung geerbt, sie war einfach nur lieb und tüchtig. Eine fleißige Ameise, ja, arbeitsam und ohne höheren Ehrgeiz. Das brillante Hirn ihres Sohnes erschreckte sie
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