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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin
Autoren: Anne Perry
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»Sind das nun alle, die diese unglückselige Woche bei Lord und Lady Wellborough verbrachten?«
    »Nein«, seufzte sie. »Stephan von Emden war auch dabei. Er gehört dem alten Adel an. Und Florent Barberini. Seine Mutter ist eine entfernte Verwandte des Königs, und sein Vater ist Venezianer. Sie brauchen mich nicht nach seinen und Stephans politischen Anschauungen zu fragen, weil ich sie nicht kenne. Aber Stephan ist ein sehr guter Freund von mir und wird Ihnen in meinem Fall weiterhelfen; das hat er mir schon versprochen.«
    »Schön!« bellte Rathbone. »Sie werden nämlich jede nur denkbare Hilfe und Freunde bitter nötig haben.«
    Nun erst dämmerte ihr, daß sie ihn verärgert hatte. Ihre Augen wurden weicher, ihr Ton ernst. »Es tut mir leid. Meine Sprache war wohl etwas zu unverblümt. Aber ich wollte doch nur, daß Sie mich verstehen… Nein, das stimmt nicht! Ich bin wütend , weil sie Brigitte so etwas antun wollten, und erwarte, daß Sie Ihre männliche Selbstgefälligkeit aufgeben und das endlich begreifen! Ich mag Sie, Sir Oliver. Sie haben eine gewisse Gelassenheit, diese englische Unterkühltheit an sich, die Sie äußerst attraktiv macht.« Sie schenkte ihm auf einmal ein strahlendes Lächeln.
    Er unterdrückte einen Fluch. Offene Schmeichelei, noch mehr aber die Freude, die er darüber empfand, waren ihm zuwider.
    Sie lehnte sich zurück. »Sie möchten erfahren, was vorgefallen ist? Nun, es geschah am dritten Tag nach dem Eintreffen der letzten Gäste. Wir ritten bis zur Erschöpfung, wie ich zugeben muß. Wir jagten über die Felder und sprangen im Galopp über mehrere Hecken. Dabei stürzte Friedrichs Pferd und warf ihn ab. Er landete sehr unglücklich. Das Pferd kam wieder hoch, doch Friedrichs Fuß hatte sich im Steigbügel verfangen. So schleifte es ihn noch ein Stück mit, bevor wir es festhalten und ihn befreien konnten.«
    »War Gisela auch dabei?« unterbrach er sie.
    »Nein. Sie reitet nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt, und dann nur im Schritt in exklusiven Parks oder bei festlichen Umzügen. Ihr liegen Kunst und Verfeinerung, aber nicht die Natur. Was sie auch unternimmt, es steckt immer ein Zweck, ein gesellschaftlicher Anlaß dahinter, aber nie Freude am Leben.« Selbst wenn Zorah versuchte, ihre Verachtung zu verbergen – es gelang ihr nicht.
    »Demnach scheidet sie als Verursacherin des Unglücks aus.«
    »Ja. Soweit ich das beurteilen kann, war es pures Pech. Niemand half nach.«
    »Brachten Sie Friedrich ins Haus zurück?«
    »Ja. Das war wohl das einzige, was wir tun konnten.«
    »War er bei Bewußtsein?«
    »Ja, warum?«
    »Er muß entsetzliche Schmerzen gehabt haben.«
    »Ja.« Ihr Gesicht drückte auf einmal größte Bewunderung aus. »Friedrich mag in mancherlei Hinsicht töricht gewesen sein, aber Tapferkeit kann ihm niemand absprechen. Er war sehr stark.«
    »Sie haben natürlich sofort einen Arzt gerufen.«
    »Selbstverständlich. Und um Ihrer nächsten Frage zuvorzukommen: Gisela war völlig aufgelöst.« Ein müdes Lächeln flackerte über ihre Lippen. »Sie wich nicht von seiner Seite. Aber das war nichts Außergewöhnliches. Sie waren nie lange voneinander getrennt. Sie beide schienen es so zu wünschen, er vielleicht etwas mehr als sie. Daß sie ihn nicht aufmerksam und gewissenhaft gepflegt hätte, kann ihr gewiß niemand vorwerfen.«
    Rathbone erwiderte ihr Lächeln. »Nun, wenn nicht einmal Sie das können, dann gibt es wohl wirklich niemanden.«
    Sie hob anmutig den Zeigefinger. »Touche, Sir Oliver.«
    »Und wie hat sie ihn ermordet?«
    »Mit Gift natürlich!« Sie zog erstaunt die Augenbrauen hoch, weil er da noch fragte. »Woran dachten Sie denn? Daß sie eine Pistole aus dem Waffenschrank genommen und ihn erschossen hätte? Sie könnte sie ja nicht einmal laden und wüßte wohl auch nicht, wo vorne und hinten ist.« Schon wieder hatte sie diesen verächtlichen Tonfall. »Dr. Gallagher mag zwar dumm sein, aber nicht so dumm, daß er ein Einschußloch übersieht, wenn das Opfer an einem Pferdesturz verstorben sein soll.«
    »Es gibt Ärzte, die auch schon mal ein gebrochenes Genick übersehen haben«, rechtfertigte sich Rathbone. »Oder Tod durch Ertrinken, wenn die betreffende Person bereits krank war und mit einer raschen Genesung nicht zu rechnen war.«
    Die Gräfin schnitt eine Grimasse. »Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, daß Gisela ihn erwürgt hat. Und sie wüßte mit Sicherheit nicht, wie man einem Menschen das Genick
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