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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin
Autoren: Anne Perry
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bricht.«
    »Und daraus leiten Sie ab, daß sie ihn vergiftet hat?« fragte er ruhig.
    Sie starrte ihn mit ihren funkelnden Augen an. »Sie sind zu scharfsinnig, Sir Oliver«, gab sie mit ironischem Unterton zu.
    »Richtig, ich leite es ab. Ich habe keine Beweise. Wäre das der Fall, hätte ich sie nicht öffentlich beschuldigt, sondern wäre ganz einfach zur Polizei gegangen. Dann hätte man sie angeklagt, und alles andere wäre nicht nötig gewesen.«
    »Und warum ist es nötig?«
    »Wegen der Gerechtigkeit?« Sie legte den Kopf schief – eine eindeutige Geste: Es war eine Frage, keine Antwort.
    »Nein.«
    »Ach, Sie glauben nicht, daß mein Gerechtigkeitssinn mich zum Handeln veranlaßt hat?«
    »Nein.«
    Sie seufzte. »Sie haben recht. Von mir aus könnten sich der Teufel oder der liebe Gott darum scheren.«
    »Aber warum dann, Madam?« bohrte er nach. »Sie setzen viel aufs Spiel. Wenn Sie Ihre Behauptung nicht stützen können, sind Sie ruiniert, nicht nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich. Womöglich droht Ihnen sogar Gefängnis. Hier geht es um einen sehr ernsten Fall von Verleumdung, noch dazu in aller Öffentlichkeit.«
    »Nun, privat hätten solche Äußerungen wohl wenig Sinn«, erwiderte sie.
    »Und was wollen Sie überhaupt?«
    »Sie dazu zwingen, sich zu verteidigen, was sonst?«
    »Aber Sie sind doch diejenige, die sich verteidigen muß. Sie stehen unter Anklage!«
    »Von Rechts wegen, ja. Aber sie wird von mir beschuldigt, und wenn sie weiter vor der Welt als Unschuldige dastehen will, muß sie mich der Lüge überführen.« Sie machte ein Gesicht, als gebe es nichts Selbstverständlicheres.
    »Nein, das muß sie nicht«, widersprach er. »Gisela muß lediglich beweisen, daß Sie diese Äußerungen getan haben und daß sie ihr geschadet haben. Die Beweislast liegt allein bei Ihnen. Wenn Sie nicht alle Zweifel ausräumen können, hat sie gewonnen. Sie braucht Ihre Behauptungen nicht zu widerlegen.«
    »Nicht vor dem Gesetz, Sir Oliver, aber vor der Welt sehr wohl! Können Sie sich wirklich vorstellen, daß Sie oder jemand in ähnlicher Lage sich zufrieden gibt, wenn noch Fragen offen sind?«
    »Ich gestehe, das ist unwahrscheinlich, wenn auch denkbar. Aber sie wird mit Sicherheit zurückschlagen und Ihnen eigennützige Motive für Ihre Bezichtigungen vorwerfen. Sie müssen sich auf eine häßliche Schlacht gefaßt machen, in der man auch Sie persönlich angreifen wird. Sind Sie dazu bereit?«
    Zorah Rostova holte tief Luft und straffte ihre schmalen Schultern. »Ja, das bin ich.«
    »Warum tun Sie das, Gräfin?« Er mußte es wissen. Dieser Fall war so bizarr wie gefährlich. Ihr Gesicht mochte unbekümmert wirken, aber sie war nicht dumm. Auch wenn sie vielleicht nicht mit den Gesetzen vertraut war, so war sie ganz gewiß weltgewandt.
    Auf einmal verschwand jeder Ausdruck von Spott oder Streitlust aus ihrer Miene, und sie sah ihm ernst in die Augen.
    »Weil sie einen Mann bis zu seiner Selbstzerstörung benutzt hat. Und dieser Mann hätte trotz seiner Leichtfertigkeit und Undiszipliniertheit unser König werden sollen. Ich werde nicht dulden, daß die Welt eine der großen Liebenden in ihr sieht, während sie in Wahrheit eine von Ehrgeiz und Gier zerfressene Frau ist, die zuallererst sich selbst und sonst nichts und niemanden auf der Welt liebt. Ich hasse Heuchelei. Wenn Sie schon nicht glauben können, daß ich die Gerechtigkeit liebe, glauben Sie mir dann wenigstens das?«
    »Ich glaube Ihnen, Madam«, sagte er, ohne zu zögern. »Ich hasse Heuchelei und bin zutiefst davon überzeugt, daß jeder normale britische Geschworene genauso empfindet.«
    »Dann übernehmen Sie den Fall?« drängte sie.
    Es war eine Herausforderung, die an allem rüttelte, was er in den Jahren gepflegt hatte: seinem Sicherheitsdenken, seiner Korrektheit, seinem stets so brillanten wie taktvollen Auftreten vor Gericht.
    »Ja«, willigte er, ohne zu zögern, ein.
    Er sah es als eine moralische Pflicht, nach der beide Seiten von den bestmöglichen Anwälten vertreten werden mußten, was gleichermaßen dem Ruf Giselas galt, sollte sie sich tatsächlich als unschuldig erweisen, wie auch dem von Recht und Gesetz. Geschah dies nicht, würde die Öffentlichkeit nie aufhören, Fragen zu stellen, und der Streit würde immer wieder neu ausbrechen.
    Zugleich sah er auch eine Gefahr, aber eine Gefahr von der Sorte, die den Herzschlag beschleunigte und den Blick auf den unermeßlichen Reichtum des Lebens öffnete.
    An diesem
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