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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin
Autoren: Claudia Groß
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mit ihren schweren Palisaden. Vor hundert Jahren war hier nur ein befestigter Lehenshof gewesen. Dann hatte der Kaiser Raupach hierhergeschickt, und jahrelang glich der Ort einer Baustelle. Aus der Hofstelle war eine wehrhafte Festung geworden, flach und geduckt mit einem Panzer wie eine Schildkröte. Weiter hinten begann das Moor. Schlangengleich zog es sich durch die schwarze, satte Erde, gluckerte, quoll, schwelte und beherbergte die Irrlichter.
    Raupach war Christ und glaubte weder an Geister noch an Dämonen. Doch wenn es draußen dunkelte und der Wind den Mond anheulte, kamen ihm Zweifel. Dann ließ er das Feuer hell lodern und betrank sich mit teurem Rheinwein. Der Kaiser hatte ihn hierher in dieses wilde Ödland geschickt, in dem er nun saß wie auf einer einsamen Insel. Umgeben von Heide, Wacholder und Moor. Er sehnte sich in die nächstgrößere Stadt mit ihrem Trubel, den Marktständen, dem Lärm und den Kirchen.
    Hier gab es keine Kirchen. Das Land war Heidenland. Sachsenland. Pferdegötterland. Schauriges Land.
    Es war Abend, und er sah seine Tochter die Treppe herabsteigen. Sie war sein Juwel, das er liebte, als hätte er ein Herz aus Gold. Doch in diesem Herzen war nur Platz für Maria. Blond und großgewachsen betrat sie die Halle, ein verlorenes Kind in einer verlorenen Gegend.
    Der Qualm des Feuers lag in der trockenen Luft. Knechte und Soldaten würfelten in einer Ecke an der Türe, um sich die endlose Zeit zu vertreiben. Maria setzte sich zu ihrem Vater an den leeren, langen Tisch.
    »Wo ist deine Stiefmutter?« fragte Raupach. »Warum kommt sie nicht zum Abendessen?«
    Maria legte ihm ihre schmale, weiße Hand auf den Arm. »Sie fühlt sich nicht wohl.«
    Raupach winkte einem Knecht, der einen Krug mit Wein brachte, den Becher füllte und zu den Würfeltischen zurückkehrte.
    »Guter Wein«, sagte er und drehte den Becher in den Händen. Er trank bedächtig und konzentriert. Sein rundes Gesicht rötete sich, seine Glieder wurden warm. Trinken! Hier konnte man nur trinken. Und vergessen. Aber er hatte Maria nicht vergessen, die immer noch neben ihm saß. Er sah auf. »Ich werde dich verheiraten.«
    Ruckartig drehte sie den Kopf zu ihm hin. Er nickte. »Ja, verheiraten. Du darfst hier nicht allein bleiben nur zwischen Knechten und Dummköpfen. Der Kaiser will, daß du heiratest.«
    Sie sagte nichts, blickte ihn nur schweigend an.
    »Stolzes Kind«, sagte er lachend. »Du meinst, ich scherze. Aber es ist alles schon so gut wie abgemacht.«
    Jetzt sprang ein unwilliger Funken in ihre Augen. »Es ist dir wirklich ernst? Und wen soll ich heiraten? Kehre ich dann nach Köln zurück? Schickst du mich nach Hause?«
    Im Feuer brach krachend ein Scheit entzwei. Raupach schloß die Augen. Nein, nicht nach Hause, dachte er beklommen. Vielleicht kommt es noch schlimmer, wer weiß das schon: Ein harmlos hingeworfenes Wort vor zwei Monaten am kaiserlichen Hof in Kaiserswerth. »Ich hätte da einen Mann für Eure Tochter«, hatte der Kaiser gesagt. Maria galt als stolz und unnahbar, war von einer herben Schönheit, und außerdem war sie klug. Nicht jeder wollte eine solche Frau. Raupach blickte Maria an. Sie war blaß geworden unter ihren blonden Locken.
    »Der Kaiser«, sagte sie langsam, »der Kaiser bestimmt unser aller Leben. Er bestimmt, wo wir leben und wie. Ich habe mich immer gefügt, selbst als wir in dieses schreckliche Land gehen mußten. Muß ich jetzt auch noch einen Mann heiraten, den der Kaiser für mich ausgesucht hat? Bin ich für euch alle nur eine Puppe?«
    »Tausend Frauen heiraten auf Geheiß des Kaisers«, sagte Raupach und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. »Er hat dir weiß Gott lange genug deinen Willen gelassen. Reiz ihn nicht, indem du dich widersetzt. Es könnte unser aller Ende sein, das weißt du.«
    Maria senkte den Kopf. Sie war neunzehn Jahre alt und schon viel zu lang ledig geblieben. Sie verstand, daß nun die Zeit gekommen war, in der auch sie zum Spielball der Politik werden mußte. Das hätte viel früher geschehen können – man hatte sie lange genug in Ruhe gelassen.
    Sie brauchte keinen Mann. Einmal hatte sie so etwas wie Verliebtheit erlebt, aber die Vernunft hatte ihre Liebe gelöscht wie ein feuchtes Tuch das Feuer. Niemals hätte sie jemandem davon erzählen können, denn er war ein einfacher Offizier gewesen, der sie nie hätte heiraten können. Sie hatten sich einige Male heimlich getroffen, aber schon bald hatte sie die Angst vor der Entdeckung ihrer
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