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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin
Autoren: Claudia Groß
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Ein Kopf erschien in seinem Blickfeld, schwarze, schulterlange Haare, ein unrasiertes, braungebranntes Gesicht mit verschlossenen Lippen und Augen, die grün schimmerten. Mädchenaugen. Ein Flaschengrüner Umhang wurde von einer bronzenen Fibel in Form einer Schlange zusammengehalten, einer Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Der Ire legte Berthold die Hand auf die Stirn, und ein Armband fiel leise klingelnd über sein Handgelenk. Wieder Schlangen, winzige silberne Schlangenkreise.
    »Wo wart Ihr?« fragte Berthold ärgerlich.
    Cai Tuam zuckte mit den Schultern. Er drehte sich um, und das Schwert an seinem Gürtel schlug gegen das Heft eines langen Dolches.
    »Wo Ihr wart, verdammt noch mal?«
    »Ich hatte Wache heute nacht, ich bin müde, Herr.« Seine Stimme war leise. Sie war immer leise und hatte einen seltsamen singenden Akzent.
    »Ihr braucht keine Wachen mehr zu übernehmen«, sagte Berthold, »bleibt bei mir. Die Wunde eitert wieder.«
    Cai drehte den Herren auf die Seite. Er warf einen kurzen Blick auf die aufgeplatzte Wunde mit den rot entzündeten Rändern, dick vom Eiter geschwollen, und verließ dann wortlos das Zelt. Wenig später kehrte er mit einem Becher zurück. Er hielt ihn Berthold an die Lippen, der gierig trank und dann in einen traumlosen Schlaf versank.
    Mit fünfzig Soldaten reiste Berthold den Rhein entlang, überquerte ihn bei Kaiserswerth und schlug sein Lager hinter den Wiesen der Stadt auf. Aber er blieb nicht lange. Seine Wunde war frisch verbunden, das Fieber sank.
    Er konnte wieder reiten. Und er ritt wie vom Teufel verfolgt. Eine glänzende Zukunft erwartete ihn – ein Titel und die schöne Maria. Berthold war bester Laune. Er lachte und scherzte mit seinen Männern. Die Wunde juckte, als wären Ameisen hineingeraten. Aber die Sonne strahlte, wilde Krokusse blühten, grüne Wiesen, vom Schnee endlich befreit, säumten die Wege. Nachts riefen die Eulen, ein Zeichen, daß der Winter bald vorüber sein würde.
    »Wie weit ist es noch bis Lüneburg?« rief er dem Führer zu.
    »Zwei bis drei Tage«, gab der zurück, »aber Raupach liegt dann noch mindestens drei Stunden weiter nach Osten.«
    Bertholds Gesicht verfinsterte sich. Die Aussicht, seine nächsten Jahre in einer gottverdammten Wüstenei zu verbringen, verstimmte ihn plötzlich. Er würde ganz aus der Mode kommen, wenn er so lange aus der Welt war. Und wohin er auch sah, hier schien die Welt zu Ende. Karg war das Land, mager der Boden, trocken und sandig. Die Wälder bestanden aus Kiefern und Föhren, unterbrochen von weitem Sumpfland, das sich bis zum Horizont hinzog. Hier lebte keine Menschenseele, und bis zum nächsten Dorf mochte es ein ganzer Tagesritt sein.
    Berthold wurde langsam klar, solange sein Bruder noch am Leben war, konnte er seine Maria nur haben, wenn er diese öde Wüste mit in Kauf nahm. Dieses Land interessierte ihn nicht, nichts, was im Norden lag, interessierte ihn. Was ihn faszinierte, war der Süden, die Alpen, Rom und weiter noch, die heiligen Stätten der Christenheit. Das Morgenland. Wie weit ging die Welt im Norden? Wo war das Ende der Welt?
    Er verspann sich in seine Gedankenfaden, er liebte es, über derlei Dinge nachzudenken. Er philosophierte gerne. Er war kein Soldat und haßte den Krieg. Er hätte sich gerne den Büchern gewidmet, der Scholastik oder der Alchimie. Er mochte keine Soldaten, aber er brauchte sie, weil er Macht besaß, die er behalten wollte.
    Und es gab Momente, da mochte er auch den Iren nicht. Der Ire war ein Söldner, den es ins Deutsche Reich verschlagen hatte. Cai Tuam war kaltschnäuzig und verschlossen. Keiner wußte so recht, was er dachte, und es war, als läge ein Zauber auf seinen Waffen, ein alter heidnischer Zauber, so heidnisch wie der Mann selbst, der zwar getauft war und die Messe besuchte, von dem aber jeder annahm, daß er irgendwo in einem schwarzen Loch seiner Seele die alten keltischen Götter anrief, bevor er in eine Schlacht zog.
    Aber Berthold brauchte ihn. Cai Tuam verstand sich auf die alte Kunst der Kräuter. Besser als jeder Bader oder Arzt oder Quacksalber, der je seine Wunde behandelt hatte. Van Neil, Bertholds erster Offizier, hatte behauptet, es gäbe wohl kaum eine Armee im Abendland, in der der Ire nicht schon gekämpft habe, und keiner stellte das in Zweifel. Durch seine Stellung als Bertholds Arzt genoß er einige Privilegien. Das machte es ihm schwer unter den Soldaten, die ihm diese Sonderstellung neideten. Und dann gab es Momente, in
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