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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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meiner Familie zuhauf. Bedauerlicherweise habe ich selbst nie eines geführt. Aber, wenn ich nach oben steige, finde ich bestimmt noch das eine oder andere.
     
    Einschub durch die Enkeltochter: Großvater meint damit, wenn er in seinen Taubenschlag auf dem Dach steigt. Dort pflegt er in einer eisernen Truhe aus altvorderer Zeit alle wichtigen Dokumente, zumindest solche, die er dafür hält, aufzubewahren.
    Auf seinen Wunsch hin schreibe ich Ihnen das Folgende nun noch wörtlich auf:
     
    Hast du schon einmal Brimsennocken gekostet? Du weißt nichts von der Welt, wenn du noch keine Brimsennocken gekostet hast!
    Um slowakische Bryndzové halušky zu kochen, brauchst du 600 Gramm Kartoffeln, 250 –300 Gramm weißes Mehl, Salz sowie 250 Gramm Bryndza und 150 Gramm Speck.
Die Kartoffeln musst du fein zerreiben und in einer Schüssel mit Salz und Mehl zu einem Teig verrühren. Dann bringst du Wasser in einem sehr großen Topf zum Kochen und tust das Salz hinein. Den Speck brätst du in der Pfanne.
    Wenn das Wasser kocht, gibst du den Teig durch ein Sieb mit Löchern hinein, du kannst es auch auf einem Brett in kleine Stückchen schneiden, aber pass auf, dass sie alle ordentlich rund werden. Das Wasser musst du umrühren, damit die Halušky nicht miteinander verkleben. Sobald die Halušky an die Oberfläche treiben, gießt du das Wasser ab. Den Bryndza musst du sofort darüber tun und alles miteinander verrühren. Am Schluss noch den Speck oben drauf und fertig ist das Nationalgericht.
    Wenn es dir selber nicht einwandfrei gelingen will, dann komm nach Košice. Es ist schön hier. Es hat auch einen singenden Brunnen.
     
    Einschub durch die Enkeltochter: Brimsen ist die deutsche Übersetzung von Bryndza, ein Käse, der aus Schafsmilch gewonnen wird. Er wird nicht maschinell hergestellt, sondern die Schäfer auf der Weide melken ihre Schafe dort im Freien, und die Milch wird auf offenem Feuer weiterverarbeitet. Die Europäische Union hat unseren Bryndza zunächst mit einem Ausfuhrverbot versehen, man dachte wohl, aus hygienischen Gründen. Mittlerweile bekommen Sie Bryndza aber auch über die Staatsgrenzen hinaus, zumindest habe ich ihn in Österreich in einem Fachgeschäft gesehen.
     
    Hier endete das Schreiben nach den zu erwartenden Abschiedsfloskeln. Für Aurelio war klar, wohin die nächste Reise seiner Mutter gehen würde. Wer weiß, vielleicht würde sie sogar Tom mitgehen lassen. Er schmunzelte bei dem Gedanken.
    Als sich Aude wieder auf den Weg machte und zurück nach Büttenhardt fuhr, blieben Aurelio und Şirîn noch eine Weile in der Küche sitzen. Das konnten sie gut, lange und still beieinandersitzen und die Zeit ihr Werk tun lassen.
    Das Teewasser siedete, beide warteten den Pfiff der Kanne ab. Dann goss Aurelio das heiße Wasser in den Samowar. Şirîn blätterte durch das Heft. Er liebte es, wie sie sich einer Sache so ganz konzentriert hingeben konnte. Ihr schwarzes Haar schimmerte blau im Licht.
    »Schau mal da«, sagte Şirîn zu ihm, »hier«, und hielt ihm ein Stück Papier hin. »In dem Brief, den diese Alžbeta Csöke ihrem Sohn verfasst hat, steht was ganz Schönes über ihr Leben mit dem ungemäßen Posticheur. Sie schreibt:
    Das Leben mit ihm war in jederlei Hinsicht perfekt. Und was nicht perfekt war, war es wert

    Aurelio starrte sie an. Das war es, wofür er sie liebte. Das, und ihre Gegenwärtigkeit, in die sie ihn zurückholte, als sie sagte: »Wollen wir auch einmal etwas Zucker schmelzen und Zöttel ausprobieren? Das Beste aus deiner und aus meiner Welt?«

Familienzuwachs
    Zürich, 2011
    »Aidan Finnegan Scott?«
    »Am Apparat.«
    »Störe ich Sie gerade, oder hätten Sie zwei Minuten Zeit?«
    »Worum geht’s denn?«
    »Waren Sie 1986 einmal unerlaubt in Lettland?«
    »Wer will das wissen?«
    »Frohe Weihnachten. Mein Name ist Aurelio Senigaglia, ich telefoniere aus der Schweiz. Ich rufe Sie an, um Ihnen mitzuteilen: Sie werden demnächst Großvater.«

Europa
    Zürich, 2012
    An einem frühen, windig kühlen Morgen im Januar 2012, als mit dreiwöchiger Verspätung endlich die kugelrunde, beinahe vier Kilogramm schwere Samira Europa Senigaglia ihren ersten Atemzug tat, saß eine Taube auf dem Fenstersims. Die Geburt war äußerst anstrengend gewesen und hatte sich über zahllose Stunden hingestreckt.
    So schwer gelangt ein Mensch in unsere Welt, dachte Şirîn. Die junge Mutter strich dem Kind mit sanftem Zug übers schwarze Haar. Ein Sonnenstrahl markierte darin rötliche Schimmer.
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