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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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prachtvoll glänzendes tiefschwarzes Haar, das ihr über den Rücken wogte und an den Spitzen verspielt auf und ab wippte, aber »der Preis, den ich dafür bezahle«, wusste sie ihrem Aurelio vorzuklagen, »sind schwarze Haare auch überall dort, wo ich sie eigentlich lieber nicht haben wollte«.
    »Habe ich dir schon erzählt, in unserer Familie muss es mal eine gegeben haben, die war werwolfgleich.«
    »Komm!«
    »Bei unserem Glück, mit meinen legendären Vorfahren und deinem und meinem schwarzen Haar, wird unser Kind dereinst –«
    »Wags nur nicht!« Şirîn lachte, ihr probatestes Mittel, alles, was ihr unschön vorkam, mit Heiterkeit hinfortzuschallen, auf dass es seines Weges ging, eines anderen als des ihren.
    Aurelio fand, Şirîns Bauch war ein moderner. Kegelig spitz, selbstbewusst und frech in einer Selbstverständlichkeit, dass es ihm vorkam, nur sein Kind, nur dieses, könnte eine solche Kraft entwickeln, mit der es dereinst die Welt aus ihren Angeln heben würde. Und das würde es. Bestimmt.Aurelio spürte es mit einer Sicherheit, die keinen Zweifel ließ. Dieses Kind wäre ein beherztes, das war es schon jetzt. Der Raum, den es einnahm, in seinen Gedanken, seinem Herzen, im Körper seiner Frau, in dieser Wohnung auch, die sie so farbenfroh eingerichtet hatten, zeugte davon. Alles war vorbereitet. Nichts Gefährliches in greifbarer Nähe, alles in die Höhe gerückt, eine Wickelkommode, umgeben von weichen Polstern, und ein Plätzchen bereit im elterlichen Bett. Wo sonst sollte dieses Kind die ersten Nächte schlafen?
    »Wir machen es wie bei uns zu Hause«, sagte Şirîn, »das Beste aus meiner und aus deiner Welt.«
    Sie saßen zusammen am Küchentisch, einem buckeligen Stück aus dem Brockenhaus, Resopalplatte, angedellte Beine, ein zusammengefaltetes Stück Karton unter dem einen, und frühstückten. Seit dem dritten Trimester ihrer Schwangerschaft aß Şirîn wie ein Kerl. Ihre Finger droschen die Nahrungsmittel in den Mund hinein, und der verschlang, was immer ihm vorgesetzt wurde. Dabei lachte sie ihr herrlich anmutiges Lachen, und ihre Augen blitzten in aufgeräumter Kumpanei. Aurelio sah ihr dabei zu, wie sie Cornflakes mit Joghurt schaufelte. Als es an der Türe klingelte, war er zuerst gar nicht erfreut. Es war Samstagmorgen, wer wollte sie heute stören?
    Seine Mutter klopfte den Schnee aus ihren Stiefeln und trat in dicken Socken über die Schwelle, ein Päckchen in der Hand.
    »Du glaubst es nicht, du glaubst es einfach nicht«, war alles, was sie sagte. Noch bevor sie in der Küche Platz genommen hatte, goss ihr Şirîn heißen Tee in eine Tasse. Sie stellte sie mit einem Hallo vor Aude hin. Aude knöpfte sich den Mantel auf und warf ihn hinter sich über die Stuhllehne. Ihre Haare waren zerzaust, einzelne Flocken schmolzen in das mürbe Braun. Sie war in einer halbsbrecherischen Fahrtvon Büttenhardt nach Zürich gerast, seit gestern Abend sei sie wie auf glühender Kohle, so unbedingt wollte sie den beiden von dem Wunder, Wunder, einfach ein Wunder, erzählen, da sei es beinahe zum Wahnsinnigwerden gewesen, mit welch beleidigender Dauerhaftigkeit Schnee vom Himmel fiel.
    Aurelio kam nicht umhin, zu bemerken, dass seine Mutter aufgeregt war – und darüber sprach. Ihre Worte klangen in seinen Ohren wie kleine erschöpfte Fäuste, die gegen das Trommelfell hämmerten und Klangmuster ausprobierten. Sie merkte es offenbar auch und schaute verlegen zu Boden. Şirîn forderte Aude auf, zu erzählen, ihre Augenlider öffneten und senkten sich, wie die einer Katze, die Vertrauen zeigt, während sie wartet.
    »Also gut. Aber ihr werdet es nicht glauben«, setzte Aude schließlich an, »ihr wisst ja, dass ich nach halb Ungarn, Italien und Kroatien Briefe verschickt hatte, um herauszufinden, wer unsere Vorfahren waren und woher sie kamen.«
    Aurelio nickte und erwischte gerade noch einen Blick auf Şirîn, die versonnen in sich hineinschmunzelte und sich den Bauch rieb. Bewegungen wie eine sanfte Meereszunge über der Nehrung.
    »Also. Jetzt müsst ihr zuhören. Ich habe damals bei meinen Nachforschungen doch auch an den Besitzer des Hauses am Hinteren Tor 1 in Sopron geschrieben. Ich dachte, vielleicht wüsste er noch etwas mehr über die vormaligen Bewohner, Omamas Vorfahren. Ich habe nie eine Antwort erhalten. Dafür jetzt das.«
    Aude zückte einen Stoffsack aus ihrer Manteltasche und daraus ein geheimnisvolles Päckchen aus mehrfach umgeschlagenem Packpapier.
    »Es zeigt sich, dass der
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