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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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Leidenschaften; seine Arme hielten sie locker und hielten sie fest, seine Beine umschlangen sie; und immer wieder die Schale der Geborgenheit.
    Als sich schließlich Jānis blicken ließ, sagte dieser, man könne am nächsten Tag aufbrechen. Es würde ein harter Marsch durch die Wälder, und er hätte nicht viel Zeit für die beiden, sie müssten dann schon irgendwie selber zurechtkommen und schauen, dass sie sich von seinem Lager nie allzu weit entfernten. Andernfalls wären sie ganz auf sich allein gestellt.
    In dieser Nacht taten sie kein Auge zu. Es war, wie beim ersten Mal, nur ohne Bier und mit geklarten Sinnen.
    »Aude?«
    »Hm?«
    Aidan räusperte sich. »Nun muss ich aufpassen, wie ich das sage.«
    »Hm? Warum?«
    »Weißt du das nicht? Die Sprache geht direkt durchs Herz. Schlag das ruhig einmal nach, wenn du wieder zu Hause bist.«
    Nachdem er das gesagt hatte, waren sie beide lange still.
    »Ich werde dich nicht vergessen«, sagte dann Aude.
    »Und ich werde mich irgendwie durchschlagen.«
    Am nächsten Morgen verließ Aidan das Liebesnest auf dem Dachstock eines unbekannten Hauses hinter der Juri-Gagarin-Straße in Ventspils, Lettland, und ließ eine Braut zurück, die sich das Gesicht noch lange und immer wieder vom Wind trockenwehen ließ.

das Päckchen
    Košice, 2011
    Jozef Št’astný kratzte sich am Kinn. Er betrachtete das kleine Päckchen in seiner Hand. Braunes Packpapier mit dunklen Fettflecken, eine unbekannte Schrift, kein Absender. Seine Adresse. Jozef Št’astný in Košice, seines Wissens nach der Einzige. Er drehte das Päckchen noch einmal um und schaute es von allen Seiten an. Die weißen Stoppeln an seinem Kinn kitzelten seine Hand. Hm, man müsste überlegen. Wer könnte einem ein Päckchen dieser Art geschickt haben? Wen kannte man? Mit Vojtech hatte er heute früh noch dem singenden Brunnen an der Hlavná gelauscht. Sie waren im kleinen Stadtpark gewesen und hatten die Wasserspiele betrachtet. Darüber, dass das eine reine Geldverschwendung war, waren sie in ihren Gesprächen schließlich hinweggekommen. Hübsch war es auch und lockte die Touristen an wie der Honig die Fliegen. Mit dem vielen Eurogeld hatte man jedenfalls geschickt die schmucken Fassaden zur Hlavná ulica hin aufgepeppt. Darüber hatten sie sinniert eine oder zwei Stunden lang an diesem Morgen.
    Vojtech hätte ihm ein Päckchen ganz bestimmt mitgegeben, hätte er eines für ihn gehabt. Was denn, er hätte es, was immer es sein mochte, gar nicht erst eingepackt, er hätte es ihm bar gegeben. Was auch immer es sein mochte, das da drin steckte. Flach, biegsam, ein bisschen wie eine müde Feder.
    Die Federn in meinem Hirn sind auch müde, dachte Jozef Št’astný, sonst hätte ich ja längst bemerkt, dass diesesda ausländische Wertzeichen sind. Keine slowakischen. Irgendetwas Fremdes.
    Hm, man käme nicht darum herum, es auszupacken, überlegte er weiter.
    Also schlurfte er in seinen Latschen hinüber zur Fensterbank und legte das Päckchen auf seine Knie. Seine Hände zögerten noch einen Augenblick, dann begann er, das Schnürchen aufzubinden und die brüchigen Klebestreifen abzuziehen.
    Vielleicht sollte er warten, bis seine Enkel kämen, die wüssten, was zu tun wäre mit einem Päckchen, nach dem man nicht verlangt hat.
    Aber wieso warten? Vielleicht sollte man sich vorbereiten, sich schlaumachen und mit dem neuen Wissen die Enkel überraschen? He, ihr da, ich weiß etwas, was ihr nicht wisst!
    Ja, so wollte er es machen. Jozef Št’astný drehte den Inhalt sorgfältig aus seiner mehrfach umgeschlagenen Hülle, dann lag es da, das Neue, das auf mirakulöse Weise seinen Weg in Jozef Št’astnýs Haus in Košice gefunden hatte.
    Es war ein Wachstuchheft.

Teil 8
Lebenszyklen. 2011–2012
    Wir stehen wieder am Anfang aller Dinge. Am Ursprung des Lebens. Staunend erblicken wir wieder das Ei. Und irgendwo in uns dämmert die große Erkenntnis: dass es kein Ende gibt. Das Individuum verbraucht sich. Stirbt. Die Art aber bleibt bestehen …, der Vogel lebt weiter.

Brimsennocken und Salonzucker
    Zürich, 2011
    Şirîn Arslans Tasche war seit Tagen gepackt. Ein Nachthemd, Unterwäsche zum Wechseln, warme Socken, ein fadenscheiniges Bettjäckchen, das einmal rosa gewesen sein musste und an dem sie sehr hing. Babykleidung, erste Windeln. Handcreme, Zahnbürste und Zahnpasta, Haarbürste, Kamm. Spiegelchen und eine kleine, goldene Pinzette, mit der sie der Härchen zwischen ihren Brauen Herr werden wollte. Sie hatte
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