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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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ohnehin hörte Aude viel lieber Aidan zu, wenn dieser mit seinem irischen Akzent Storys aus seiner Kindheit in Dublin zum Besten gab, von seinen sieben Brüdern erzählte und von der einen Schwester, die nie geboren worden war –,beschränkten sie sich darauf, still nebeneinander zu sitzen und mit abgesprießten Spänen auf ein Einweckglas zu zielen. Die Mittsommernacht war zwar vorbei, aber dennoch blieb es weit über die gewohnte Zeit hell, und die Nächte waren schmale Bänder. Da sie die Fenster ohnehin verhängt halten mussten, bekamen sie etwas verdienten Schatten ab. Dennoch dauerte es keine drei Tage, und die beiden fühlten sich matt von der Hitze und verwirrt in ihrem Zeitempfinden. Immer öfter geschah es, dass einer von ihnen eindöste und dabei den anderen als Kissen benutzte.
    Eines Nachts, eigentlich war es eher früher Morgen, brachte Jānis eine Kiste kühles Bier nach oben. Aidan und Aude zögerten nicht lange und netzten sich damit die Kehlen. Angeduselt bettete Aude ihren Kopf in Aidans Schoß und merkte erst, als sie wieder aufwachte, dass seine Hand mit ihrer kleinen, festen Brust spielte. Ganz leise führte eins zum andern, und Aude ließ es zu. Fasziniert von ihren eigenen Empfindungen, unerwarteten Regungen, drängte sie sich an diesen Mann, der da mit zarten Fingern über ihren Körper strich. Dann küsste er sie. Es war Audes erster Kuss. Das Bier hatte ihre Zunge pelzig gemacht, und es war, als ob zwei Bärenbabys in ihren Mündern balgten. Mit einer Hand hielt er ihren Hinterkopf, ganz sanft, in seinem anderen Arm lag sie gebettet; es war ein Gefühl wie in einer Schale der Geborgenheit. Als er ihre Hose nach unten streifte, fuhr ihr ein kühler Lufthauch über den Rücken und zwischen die Beine, und sie merkte, wie sich die feinen Härchen aufstellten, die ihren Körper säumten. Goose pimples, hauchte er ihr ins Ohr, du hast ja Gänsehaut. Dann schob er sich auf sie und suchte sich seinen Weg.
    Für Aude war der Akt der sexuellen Vereinigung ein Kuriosum, eine Sache, die sie mit offenen Augen studieren wollte, mit beiden Händen begreifen. Nicht nur einmal schob er ihre Hände wieder weg, bis er sie schließlich überihrem Kopf zusammenhielt, wie bei einer zarten Gefangenen, und sich rhythmisch in und auf ihrem Körper bewegte.
    Aude bemerkte, dass sich sein Atem veränderte. Dann, mit einem Mal, spannte sich alles in ihm an, wie ein Pfeil, der angezogen wurde …, und im rechten Moment losgelassen.
    »So. Jetzt kannst du anfassen, wenn du willst«, sagte er, als er sich neben sie auf die Matratze rollte, »aber vorsichtig, bitte«, er grinste. Da war nichts Unfreundliches.
    Wieder tranken sie Bier. Und wieder liebten sie sich. Aude bekam einen Begriff davon, wie menschliche Körper funktionierten, und je mehr sie verstand, umso mehr wollte sie testen, ob ihre Erkenntnisse der Wirklichkeit standhielten. Das Bier war dabei nicht gerade hilfreich. Sie tranken und waren von Hitze und Schweiß und Bier völlig durchnässt. Die Laken klebten an ihren Schienbeinen, den Füßen und wickelten sich feucht um ihre Knie. Immer, wenn einer der beiden aufstehen wollte, sich etwas Luft verschaffen wollte, vielleicht am Fenster sitzen wollte, zog ihn der andere zurück zu sich ins Nest. Ihre Blicke waren schon nicht mehr ganz klar, als Aidan sagte: »So, genug jetzt. Ich bin ja nicht nach Lettland gereist, um eine Familie zu gründen.«
    Dann schlief er ein.
    Nach vielleicht fünf oder sechs oder sieben Stunden Schlaf, erwachten beide gleichzeitig und rappelten sich auf. Aidan sah Aude aus glasigen Augen an. Ein Funkeln, dann ein Stöhnen: »Ach, was soll’s.«
    Die ganze nächste Woche über liebten sie sich jeden Tag und jede Nacht. Zuerst war es das Bier, dann die Neugier, ob man sich auch ohne Bier mögen würde, und dann wurde alles dem Verstand enthoben und war nur noch Instinkt. Aude dachte, vielleicht das lange Eingeschlossensein, vielleicht die Hitze, vielleicht die Bange, ob wir hier je wieder rauskommen, überhaupt je in diesen Wald kommen und zu den Tieren, ob es draußen noch so etwas wie ein Leben gab.
    Aidan streichelte Audes Füße. Spielte mit ihren Zehen und zupfte daran. Er hatte keine Hemmung, sie da zu küssen. Auch da. Aude presste die Lippen zusammen und drückte ihre Zähne dagegen, dann war er bei ihr oben und schob ihr seine Zunge in den Mund. Ihre Finger verhakelten sich ineinander, spielten ein Spiel von Kompression und Dekompression, erforschten des anderen
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