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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen
Autoren: Minelli Michele
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geworden ist;
    dass die Früchte seiner Arbeit, welche seine Ersparnisse dargestellt haben, es ihm erlaubt haben, in Lausanne sich als Fabrikant niederzulassen, wo er durch seine kommerzielle Ehrenhaftigkeit und seine Rechtschaffenheit es nicht versäumt hat, die Achtung und das Vertrauen jener Personen zu erwerben, mit welchen er in Beziehung steht;
    dass es ganz offensichtlich ist, dass sein Einbürgerungsgesuch in erster Linie von Gefühlen materieller Art geleitet ist, wobei er jedoch ein empfehlenswerter Kandidat in jeder Hinsicht ist, der einen ausgezeichneten Eindruck macht und welcher für die waadtländische Einbürgerung geeignet ist.
     
    Beilage: 1 Dossier zurück
     
    Dokument Nr. 9:
    Brief von Elia Costantino Italo Israël an den Staatsrat des Kantons Waadt, vom 11. Februar 1922
     
    Herr Präsident, meine Herren,
     
    Ich, der unterzeichnende Elia Costantino Italo Israël, italienischer Herkunft, Fabrikant, wohnhaft in Lausanne, habe die Ehre, Sie darum zu bitten, dem Großen Rat des Kantons Waadt in seiner nächsten Session ein Einbürgerungsdekret zu unterbreiten, zugunsten meiner selbst, meiner Ehefrau Cheina Malka Moisseiff und unserer beiden minderjährigen Söhne Abel und Pierre.
    Herr Notar Merten in Lausanne, der mit den Formalitäten meiner Einbürgerung beauftragt ist, wird Ihnen mit dem
vorliegenden Gesuch alle Aktenstücke übermitteln, die er für notwendig erachtet, und wird Ihnen alle zusätzlichen Auskünfte liefern, die Sie für gut halten, von ihm zu verlangen.
    Ich bitte, meinem Gesuch eine gute Aufnahme zu gewähren, und unterbreite Ihnen, Herr Präsident, meine Herren, meine vorzügliche Hochachtung.
     
    Sig. E. C. I. Israël
     
    »Wie ist das weitergegangen, dieser ganze Zirkus, weißt du das?« Aurelio schaute seine Mutter fragend an.
    »Verrückt, gell. Nun, sein Gesuch wurde in der Session gutgeheißen. Er wurde Schweizer, zusammen mit einer Rentnerin, Frau von Baur-Breitenfeld, staatenlos, einer Frau Beal aus Amerika, einem Armenier namens Derbabian, einem Franzosen namens Grandvoinnet, einem staatenlosen Juden namens Lévy, dem französischen Unternehmer Péju, einem weiteren Italiener namens Pettineroli, dem Deutschen Rée und einem Gärtner aus Frankreich, Richardot.«
    »Man glaubt es kaum, welch langer, langer Weg.«
    »Schau, hier ist das Dokument Nr. 10, ein weiteres Schreiben dieses Notars Merten, verfasst zuhanden des Kanzlers.«
     
    Dokument Nr. 10:
    Einbürgerung Israël. Einschreiben.
     
    Herr Kanzler,
     
    Ich habe die Ehre, Ihnen mitfolgend zuzusenden:
    1) Der Akt der Bürgerschaft in 3 Exemplaren, von der Gemeinde Préverenges der Familie Israël am 17. Mai ds. übergeben;
    2) das Familienbüchlein der Israël
    3) die Quittung über Fr. 500.–, bezahlt von meinem Klienten für die kantonalen Kosten der Einbürgerung.
     
    Herr Israël ist von der Kanzlei auf den 16. Mai ds. zur Ableistung des Eides vorgeladen worden; da die Einbürgerungsakte bis zu diesem Datum nicht errichtet sein wird, habe ich Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass mein Klient nicht erscheinen wird.
    Ich hoffe, seine Vereidigung werde demnächst erfolgen können, und ich wäre Ihnen sehr verpflichtet, diese auf ein demnächstiges Datum festzusetzen, da mein Klient sich vorgenommen hat, sich ab dem 23. Mai für eine Geschäftsreise zu absentieren, und es wäre ihm angenehm, wenn seine Einbürgerung vor seiner Abreise abgeschlossen werden könne: ich stehe Ihnen zur Verfügung, um Herrn Israël aufzubieten, wann es Ihnen beliebt, auf einfachen Telephonanruf von Ihrer Seite.
     
    Genehmigen Sie, Herr Kanzler, die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung.
     
    sig. W. Merten
     
    Unmerklich hatte sich der Abend über das Land niedergesenkt. Die vier saßen bereits im Dämmerlicht der letzten vagen Streifen.
    Außer dem behaglichen Schnurren einzelner Katzen hörte man für einen kleine Weile nichts. Aurelio beobachtete seine Mutter, wie sie sich sanft an Tom schmiegte.
    Dann blickte er seiner Freundin Şirîn fest in die Augen, als suche er dort den Fortbestand einer währenden Aufforderung, erst jetzt holte er einmal tief Luft und sagte zu seiner Mutter: »Ich habe dich einmal nach meinem Vatergefragt, nur ein einziges Mal, da war ich etwa vier oder fünf. Du hast es mir nicht gesagt. Daraufhin habe ich angefangen zu warten. Mum, ich finde, ich habe jetzt genug gewartet.«

Aurin
    Büttenhardt, 2011
    Wie geschickt er mit Worten ist, dachte Aude, wie gut er mit Gefühlen ganzer Jahrzehnte
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