Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
großartiger Mann! Wenn nur alle so dächten wie er, dann ginge es mit der Wirtschaft in dieser Gegend deutlich besser.«
    »Aber Duke ist nicht sein richtiger Name«, sagte Pina.
    »Nein«, der Arzt lachte, »er liebt den Swing, und irgend jemand sagte einst über ihn, daß er einen ebenso manipulativen Umgang mit seiner Familie und den Mitarbeitern habe, wie man dies von Duke Ellington behauptete. Den Namen hat ihm Sedem gegeben, nachdem er in einer Biographie des Musikers gelesen hatte, daß Ellington mit eiserner Hand im Glacé-Handschuh regierte. Und alle anderen haben diesen Namen sofort übernommen.«
    »Und was ist mit seinen Händen?« fragte Pina.
    »Wegen der Handschuhe?« sagte Doktor Černik. »Ich kenne ihn nicht anders. Als ich ihn einmal danach fragte, sprach er von einer reinen Vorsichtsmaßnahme.«
    »Allergiker?«
    Der Arzt blieb ihr die Antwort schuldig.
    »Und Sedems Mutter? Wo lebt sie? Und seine Schwestern?«
    »In Amerika. Soweit ich weiß, sind sie dortgeblieben.«
    »Das heißt, der Junge ist ganz allein.«
    »Er verreist oft. Machen Sie sich kein falsches Bild von ihm. Sedem weiß sich bestens zu helfen. Und an Geld mangelt es ihm auch nicht. Es ist nicht so, daß der Unfall seinen Lebensmut beeinträchtigt hätte. Ganz im Gegenteil. Aber was er genau tut, weiß eigentlich niemand. Nicht einmal sein Vater.«
     
    *
     
    »Sedem, endlich hab’ ich sie«, sagte Duke fröhlich und goß seinem Sohn den Rest Champagner ein. Dann ging er zu einer ausladenden Regalwand aus feinstem Wengé, die ausschließlich zur Aufnahme seiner Schallplattensammlung konstruiertwar. Über zwölftausend alte Scheiben waren hier versammelt, meist Originalaufnahmen aus der Epoche des Swing. Er stieg auf eine Leiter und zog eine heraus. »Der ›Shanghai Shuffle‹ von Fletcher Henderson arrangiert, das ist die erste Aufnahme überhaupt. 11.7.1924, Vocalion A 14935. Eine 78er.«
    »Deinen Hang zum Fernen Osten kannte ich bisher nur im Zusammenhang mit den Finanzmärkten und den explodierenden Rohstoffpreisen«, sagte Sedem unwirsch, doch bevor sein Vater antworten konnte, kam er rasch auf die Musik zurück und nannte aus dem Gedächtnis die Namen der Bandbesetzung. Damit war der Konflikt vom Tisch. »Das war eine echte Bigband, achtundfünfzig Musiker zusammen, Fletcher Henderson am Piano und als Arrangeur, dann Henry Red Allen, Louis Armstrong, Roy Eldridge an der Trompete und der große Coleman Hawkins am Saxophon, Tenor, Alt und Baß. Wo hast du die Aufnahme gefunden?«
    »Zufällig, letzte Woche in New York.« Duke hauchte einmal über die schwarze Scheibe, die er mit seinen Seidenhandschuhen gegen das Licht hielt, und ging zu einem hochglanzpolierten rötlich geäderten Marmorwürfel von einem Kubikmeter Ausmaß, auf dem ein Thorens-Reference-Nr. 7-Plattenspieler erschütterungssicher ruhte. »Im Nachlaß meines Vaters«, sagte er, während er den Tonabnehmerarm aufsetzte. »Was da noch alles liegt, unglaublich! Das untere Appartement an der Brooklyn Bridge steht immer noch voller Kartons.«
    »Dabei ist er schon seit vier Jahren tot.«
    »Alles hat seine Zeit.«
    »Das stimmt«, sagte Sedem versonnen und lauschte den ersten Tönen der Aufnahme, die trotz ihres Alters kaum knisterte.
    »Die junge Frau, die du gerettet hast, gefällt dir. Nicht wahr? Deine Augen flackerten wie ein Leuchtfeuer.«
    Sedem schaute erstaunt auf. Darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht. Er hatte Pina aus der Ferne beobachtet und auch gesehen, wie der Hund von einem Moment auf den anderen in Richtung des Gehöfts talaufwärts verschwand, das Dean gehörte, einem Mann aus der Hauptstadt, von dem er gelegentlich ein paar Gramm Marihuana erster Qualität bezog. Dean handelte mit allem. Sedem kannte seine Geschichte. Seit er aus dem ehemaligen jugoslawischen Geheimdienst ausgeschieden war und nach der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens rasch aus der neueingerichteten Schattenbehörde entfernt wurde, weil er seine guten Kontakte mit Belgrad zu intensiv pflegte, nutzte er diese auf andere Art. Es gab nichts, was man bei Dean nicht bestellen konnte. Und an Geld mangelte es dem Mann wohl auch nicht, zu viele Autos mit Kennzeichen aus halb Europa hielten vor dem Gehöft dort unten. Vor ein paar Stunden noch hatte er einen Mercedes-Kombi aus Hamburg beobachtet.
    »Sedem, ich habe dich etwas gefragt«, sagte sein Vater und zog eine andere Platte aus dem Regal.
    »Ja, du hast recht. Pina ist mir sympathisch. Ich glaube, sie ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher