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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Autoren: Dan Millman
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wies auf einen dicht bewaldeten Hügel rechts von mir.

    »Soll ich da hingehen?« fragte ich laut. Sie lächelte nur heiter und gelassen. Ich schloß für ein paar Sekunden die Augen, weil mich die Sonne blendete. Als ich sie wieder öffnete, war Mama Chia verschwunden.
    In meiner jetzigen veränderten – oder vielleicht auch nur verfeinerten — Wahrnehmungsweise der Realität kam mir das alles völlig normal vor. Langsam erhob ich mich und ging in die Richtung, die sie mir gezeigt hatte.
    Immer noch verwirrt durch die Ereignisse und Offenbarungen, die ich in den letzten Stunden erlebt hatte, bahnte ich mir einen Weg durch das dichte Gestrüpp. Ein- oder zweimal blieb ich an stacheligen Ranken hängen. Schließlich wurde der Wald lichter, und ich sah, daß ein schmaler Pfad vor mir lag.

23
DIE REISE DURCH DIE SEELE
    Wir müssen Einsamkeit und Schwierigkeiten, Isolation und
Schweigen durchleben, um jenen verzauberten Ort zu entdecken,
wo wir unseren schwerfälligen Tanz tanzen und unser trauriges
Lied singen können. Doch in diesem Tanz und in diesem Lied
werden die ältesten Riten unseres Gewissens wach in dem Bewußtsein,
ein Mensch zu sein.
     
    PABLO NERUDA
     
     
    Der Pfad führte zu einer winzigen Hütte, nur ungefähr zweieinhalb Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Ich ging hinein und versuchte mich in dem dunklen Inneren der Hütte zurechtzufinden. Durch die Ritzen des strohgedeckten Daches und der Holzwände drangen nur ein paar Sonnenstrahlen. Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich ein langes Bambusrohr, das durch die Decke führte und das Regenwasser, das sich auf dem Dach sammelte, in einen großen Holzkübel in einer Ecke leitete. In der gegenüberliegenden Ecke dieses spartanisch eingerichteten Raumes entdeckte ich ein Loch im Boden, das als Toilette diente. Daneben stand ein Eimer zum Nachspülen. Auf dem Erdboden war eine Schlafstelle aus dichtem Laub aufgeschichtet.
    Aus der Einrichtung der Hütte schloß ich, daß sie wahrscheinlich für jemanden gedacht war, der sich in die Einsamkeit zurückziehen wollte. Ich beschloß, so lange hierzubleiben, bis ich ein eindeutiges Zeichen erhielt, was ich als nächstes tun sollte.
    Ich schloß die strohverkleidete Tür hinter mir. Erschöpft legte ich mich auf das Lager aus Laub und schloß die Augen.

    Fast sofort spürte ich, daß jemand in der Nähe war. Ich richtete mich wieder auf. Mama Chia saß vor mir, mit verschränkten Beinen, als meditierte sie – aber ihre Augen waren weit offen und leuchteten. Ich spürte, daß sie mir etwas mitteilen wollte; also wartete ich stumm. Ich wollte diese zarte Erscheinung nicht verscheuchen.
    Sie machte eine Bewegung mit dem Arm, und ihr Bild begann zu flimmern und schließlich wieder zu verblassen. »Alles ist nur ein Traum in einem Traum«, hörte ich sie sagen.
    »Das verstehe ich nicht, Mama Chia. Was hat das für einen Sinn?«
    »Wir schaffen uns unseren Sinn selbst«, sagte sie. Dann löste ihr Bild sich in nichts auf.
    »Warte! Geh nicht weg!« rief ich. Ich wollte ihr Gesicht berühren, sie umarmen, aber ich wußte, daß das nicht möglich und auch nicht mehr angebracht war.
    Aus der Dunkelheit hörte ich ihre letzten Worte – sie klangen wie ein Echo aus weiter Ferne: »Es ist alles gut, Dan. Alles wird gut werden …« Dann war nur noch Schweigen.
     
    Jetzt war sie endgültig fort – das spürte ich instinktiv. Was sollte ich nun tun? Kaum hatte ich mir diese Frage gestellt, da wußte ich auch schon die Antwort: Es gab gar nichts zu tun – außer hierzubleiben und zu warten, bis ich Klarheit erhielt.
    Ich betrachtete die engen Grenzen meiner neuen Unterkunft. Als ich eine Bilanz meiner Situation zog, stellte ich fest, daß ich nichts zu essen hatte. Aber damit war ich schon öfters fertig geworden. Mein Basis-Selbst hatte keine Angst mehr vor dem Hungern, und Wasser war in dem Holzkübel genug.
    Nachdem ich mich ausgiebig gestreckt hatte, um meine Glieder zu lockern, setzte ich mich hin und schloß die Augen. Schon bald begannen Erinnerungsfetzen – Dinge, die ich in den letzten Wochen gesehen und gehört hatte – vor meinem inneren Auge vorbeizuziehen. Ich erlebte mein ganzes Abenteuer auf Molokai noch einmal in einer bunten Montage rasch vorüberziehender Bilder und Emotionen.
    Ich erinnerte mich, was Mama Chia einmal zu mir gesagt hatte: »In unseren äußeren Reisen spiegelt sich bestenfalls unsere innere
Reise wider. Im schlimmsten Fall bilden sie nur
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