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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Autoren: Dan Millman
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richtige Zeitpunkt dafür gekommen sei.
    »Schön, aber wie soll ich sie denn finden?« fragte ich.
    »Sie hat mir auf dem Briefpapier einer Bank geschrieben.«
    »Von welcher Bank?«
    »Weiß ich nicht mehr. Irgendwo aus Honolulu, glaube ich.«
    »Kann ich den Brief mal sehen?«
    »Hab ihn nicht mehr.«
    Allmählich geriet ich in Wut. »Hat diese Dame auch einen Namen?«
    »Sie hat schon verschiedene Namen gehabt. Keine Ahnung, welchen sie jetzt gerade trägt.«
    »Und wie sieht sie aus?«
    »Schwer zu sagen, ich habe sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen.«
    »Verdammt noch mal, Socrates, jetzt gib mir doch endlich einen Tip!«
    »Ich habe dir schon mal gesagt, Danny – ich bin da, um dir zu helfen, aber nicht, um dir alle Erkenntnisse in den Schoß zu legen«, erwiderte er mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Wenn du sie nicht findest, dann bist du sowieso noch nicht bereit dafür.«
    Ich holte tief Luft und zählte langsam bis zehn. »Und was ist mit den anderen Orten und Leuten, die ich besuchen soll? Wo finde ich die?«
    Socrates warf mir einen wütenden Blick zu. »Bin ich etwa dein Reisebüro? Geh nur immer deiner Nase nach. Vertraue auf deine Instinkte. Erst einmal mußt du sie finden, dann ergibt sich alles andere von selbst.«
    Als ich in der frühmorgendlichen Stille nach Hause ging, dachte ich darüber nach, was Socrates mir erzählt hatte – und vor allem darüber, was er mir verschwiegen hatte. Falls ich »zufällig mal in der Gegend sein sollte«, hatte er gesagt, könnte ich vielleicht eine Frau besuchen, die keinen Namen und keine Adresse hatte und vielleicht
immer noch bei einer Bank irgendwo in Honolulu arbeitete. Vielleicht arbeitete sie aber auch nicht mehr da. Und falls ich sie finden sollte, konnte sie mir vielleicht etwas beibringen und würde mir vielleicht den Weg zu den anderen Menschen und Orten zeigen, von denen Socrates gesprochen hatte.
    Als ich im Bett lag und weiter nachgrübelte, wäre ich am liebsten sofort zum Flughafen gefahren und hätte das nächste Flugzeug nach Honolulu genommen. Aber es gab zur Zeit wichtigere Dinge, die meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchten: Ich sollte zum letzten Mal an den Turnmeisterschaften der National Colleges teilnehmen, mein Abschlußexamen machen und heiraten – also wohl kaum der ideale Zeitpunkt, um nach Hawaii zu fliegen und einem Phantom nachzujagen.
    Über diesem Gedanken schlief ich schließlich ein – und man könnte sagen, daß ich von nun an fünf Jahre lang schlief. Bevor ich dann wieder aufwachen konnte, mußte ich feststellen, daß ich trotz meiner spirituellen Unterweisung und Erfahrung, auf die ich mir so viel einbildete, nicht auf das Leben vorbereitet war. Ich gelangte buchstäblich vom Regen in die Traufe: aus Socrates’ Bratpfanne ins Kreuzfeuer des Alltags.

ERSTES BUCH
Wohin der Geist uns führt
    Das Wichtigste ist:
Wir müssen jederzeit bereit sein, das, was wir sind,
aufzugeben für das,
was wir vielleicht werden könnten.
     
    CHARLES DUBOIS

1
IM SUMPF DES ALLTAGS
    Erleuchtung heißt nicht nur, daß man leuchtende Gestalten und
Visionen sieht, es bedeutet, daß man Licht in die Dunkelheit bringen
muß. Letzteres ist schwieriger und daher nicht so beliebt.
     
    C. G. JUNG
     
     
    In meiner Hochzeitsnacht weinte ich. Ich erinnere mich noch genau daran. Linda und ich hatten in meinem vierten Studienjahr an der Universität in Berkeley geheiratet. Ich erwachte kurz vor Morgengrauen, unerklärlich deprimiert, schälte mich leise aus den zerknüllten Bettlaken und trat hinaus in die kühle Morgenluft. Die Welt war noch in Dunkel gehüllt. Ich schob die Glastür hinter mir wieder zu, um meine Frau nicht zu wecken. Dann stieg plötzlich ein Schluchzen in mir auf. Ich weinte lange, hatte aber keine Ahnung, warum.
    Weshalb war mir so elend zumute, obwohl ich doch eigentlich allen Grund haben sollte, glücklich zu sein? fragte ich mich. Die einzige Antwort, die mir einfiel, war eine vage Ahnung, die mich zutiefst beunruhigte: daß ich irgend etwas Wichtiges vergessen hatte, daß ich irgendwie vom richtigen Kurs abgekommen war. Dieses Gefühl sollte unsere ganze Ehe überschatten.
     
    Nach meiner Abschlußprüfung ließ ich den Erfolg und die Ovationen hinter mir, mit denen ein Starathlet verwöhnt wird, und mußte mich an ein relativ anonymes Leben gewöhnen. Linda und ich zogen nach Los Angeles, und ich mußte mich zum erstenmal im Leben den Verantwortungen des täglichen Lebens stellen. Ich besaß eine
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