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Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Die Rückkehr des friedvollen Kriegers

Titel: Die Rückkehr des friedvollen Kriegers
Autoren: Dan Millman
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Die aufsteigende Sonne begann den Himmel zu erhellen. Die Umrisse der Berge zeichneten sich scharf vor ihr ab. »Sie muß ganz friedlich in der Nacht gestorben sein«, sagte Joseph. »Fuji hat sie erst vor einer Stunde gefunden. Aber wie konntest du wissen, daß sie gestorben ist?«
    Ich blickte zu ihm auf, und meine Augen verrieten ihm die Antwort.
    Joseph nickte verständnisvoll. »Sie hat mir schon vor einiger Zeit ihre Anweisungen gegeben«, erklärte er, »wo ich Tias Baby hinbringen soll und wie alle anderen Angelegenheiten zu regeln sind. Sie möchte verbrannt und auf dem Kahuna -Friedhof beigesetzt werden. Ich werde mich darum kümmern.«
    »Ich würde dir gerne bei alldem helfen«, erbot ich mich.
    »Ja, natürlich – wenn du willst. Ach ja, und da war noch etwas«, setzte er hinzu und hielt ein Stück Papier in die Höhe. »Ich glaube, das hat sie gestern abend noch geschrieben.«
    Wir lasen den Zettel. Dort standen in Mama Chias kritzeliger Handschrift nur sechs Worte: »Unter Freunden gibt es kein Lebewohl.«
    Mit feuchten Augen blickten wir uns an und lächelten.
    Dann ging ich wieder in die Hütte, setzte mich neben Mama Chia und sah sie einfach nur an. Als ich noch jung war, war der Tod mir
fremd gewesen – nichts weiter als ein Anruf, ein Brief oder eine Information, eine feierliche Bekanntmachung, die stets nur Leute betraf, die ich kaum kannte. Der Tod besuchte nur andere Häuser – nicht meines. Und die Menschen, die er traf, verblaßten ganz einfach in meiner Erinnerung.
    Aber das hier war Realität, und es tat weh wie ein Schnitt mit einer Rasierklinge. Während ich neben Mama Chias Leichnam saß, hauchte der Tod mir seinen kalten Atem ins Ohr und ließ mich meine eigene Sterblichkeit ahnen.
    Ich streichelte Mama Chias Wange und fühlte in meinem Herzen einen Schmerz, den keine metaphysische Philosophie heilen konnte. Ich vermißte sie schon jetzt. Ich spürte die Leere, die sie hinterließ. Es war, als sei mir ein Stück von meinem eigenen Leben weggenommen worden. Und ich dachte darüber nach, daß wir letzten Endes keine Kontrolle über dieses Leben haben – keine Möglichkeit, die Wogen aufzuhalten, die über uns hereinbrechen. Wir können nur lernen, wie Surfer auf diesen Wellen zu reiten, alles anzunehmen, was uns begegnet, und es benutzen, um daran zu wachsen.
    Ich hing sehr an dieser Frau, die ich doch erst vor kurzem kennengelernt hatte. Meine Bewunderung für Mama Chia – für ihre Güte, ihren Mut und ihre Weisheit – war so groß, daß es gar keine Rolle spielte, wie lange ich sie kannte. Und diese Bewunderung machte ihr Dahinscheiden um so schmerzlicher für mich. Vielleicht hatte ich sie in Wirklichkeit schon viele Leben lang gekannt. Sie gehörte zu den Lehrern, die ich am meisten liebte. Irgendwie hatte sie wohl schon seit meiner Geburt auf mich gewartet.
     
    Joseph setzte sich mit Mama Chias Schwester in Verbindung, und diese informierte die übrige Verwandtschaft. Wir ließen Mama Chias toten Körper zwei Tage lang liegen, wie sie uns gebeten hatte. Dann, am dritten Morgen, trafen wir alle Vorbereitungen für die Fahrt zu ihrer Beerdigung – das Pelekunu Valley hinauf zu dem heiligen Kukui-Hain und der Begräbnisstätte, die darüber lag. Fujis alter Lieferwagen, mit Blumenkränzen und -girlanden geschmückt, war ihr Leichenwagen. Vorsichtig fuhren wir über die behelfsmäßigen
Straßen so weit nach Osten, wie es ging – Fuji und ich, gefolgt von ihren Freunden und Verwandten und einer langen Prozession der vielen Inselbewohner, die Mama Chia im Laufe der Jahre kennengelernt und denen sie geholfen hatte.
    Als die Straße endete, trugen wir ihre Leiche auf der Pritsche, die ihre Freunde aus der Leprakolonie für sie gebaut hatten, über rutschige, kurvenreiche Pfade, vorbei an Wasserfällen und durch den Kukui-Wald, den sie so geliebt hatte, bis hin zum Kahuna -Friedhof. Die Leprakranken durften ihre Kolonie nicht verlassen und konnten uns daher nicht begleiten, aber sie hatten viele Blumen geschickt.
    Am Spätnachmittag erreichten wir den Friedhof. Ich spürte, wie der alte Kahuna -Geist, Lanikaula, Mama Chia und uns alle hier willkommen hieß – ich hatte gewußt, daß er es tun würde. Von jetzt an würden sie alle beide für immer und ewig Wache über diese Insel halten, die sie liebten.
    Als der Abend dämmerte, hatten wir den Scheiterhaufen errichtet, auf dem Mama Chia verbrannt werden sollte. Wir legten sie auf ein Bett aus Laub und Blütenblättern,
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