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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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Zange hätte sie möglicherweise eines der Bretter so lange bearbeiten können, bis es sich löste. Dann hätte sie aus diesem Gefängnis entkommen können. Aber zum einen hatte Lina kein passendes Werkzeug und zum anderen sah sie es nicht ein. Sie war unschuldig! Sicher würde sich schon bald alles klären. Wenn es doch nur nicht so lange dauern würde …
    Auf diese Weise verging der Tag. Aber als die Dunkelheit um sich griff und nur noch der Schein der Petroleumlampe ein kleines Fleckchen ihrer Zelle erhellte, kam die Angst. In der Nacht nahmen alle dunklen Gedanken Gestalt an, ließen sie immer wieder aus einem unruhigen Schlaf aufschrecken.
    Würde Seip wirklich Alexanders Vormund werden können? Lina versuchte, nicht an diese Schreckensvorstellung zu denken. Natürlich gelang es ihr nicht. Dann würde Seip sie bestimmt nicht nur von ihrem Land werfen, sondern ihnen auch ihre Plantage rauben. Ihre gesamte Existenz stünde dann auf dem Spiel.
    Und konnte ihr noch etwas daraus entstehen, dass sie bei Riekes Alter gelogen hatte? Würde man sie dann womöglich wieder zurück nach Deutschland schicken?
    »Sieh mal, Mädchen«, begrüßte Mr Mills sie am Montagmorgen. »Hier is’ Besuch für dich!«
    Seip? Nicht schon wieder … Aber als Lina in das freundliche Gesicht blickte, das ihr durch die kleine Luke entgegensah, schluchzte sie vor Erleichterung auf.
    »Pastor Heine!« Sie stürzte an die Tür. »Was – was tun Sie denn hier?«
    »Nach dir sehen.« Der Pastor langte durch die Gitterstäbe und ergriff ihre Hände. »Ich habe heute früh Anna und Cordt Bensemann nach Nelson begleitet.« Niemand, so Heine, habe sich nämlich einen Reim darauf machen können, was Rieke und Julius da erzählten, als sie am Samstagabend mit den Bensemanns in Waimea eintrafen: dass Lina angeblich dringend verreisen musste. Dass ihr dann aber ein paar constables Handschellen angelegt und sie mitgenommen hatten.
    »Geht es dir gut, Lina? Und was ist denn passiert?«
    Jetzt war es um sie geschehen. Trotz ihrer guten Vorsätze begann sie heftig zu weinen.
    »Ich … ich habe Rudolf nicht umgebracht«, schluchzte sie.
    »Natürlich hast du das nicht!«, erwiderte Pastor Heine bestürzt. »Hat man dich deswegen verhaftet?«
    Lina konnte nur nicken.
    »Aber … wer behauptet denn so etwas?«
    »Seip! Er … er hat uns schon in der Wildnis verfolgt. Und jetzt … wie kann … wie kann dieser … dieser schreckliche Mensch nur so was Scheußliches in die Welt setzen?«
    Schluchzend und stammelnd erzählte Lina ihm von den zurückliegenden Tagen, und der Pastor tat sein Bestes, sie zu trösten und ihr Mut zuzusprechen.
    »Es wird alles gut, Lina«, versicherte er ihr.
    Aber viel zu bald musste er sich schon wieder verabschieden, weil ihn seine Pflichten in Schule und Kirche wieder zurück nach Waimea riefen. Vorher aber, so versprach er ihr, würde er noch ins Fort gehen und Alexander informieren.
    Lina nickte zögernd. Ja, es war wohl doch an der Zeit, dass er davon erfuhr.
    Lina hätte nie gedacht, dass ihr so langweilig sein könnte. Bei den Trebans hatte sie normalerweise immer etwas zu tun gehabt, und wenn sie einmal ein paar Augenblicke Pause hatte machen können, hatte sie das stets genossen. In diesen Tagen aber wurde ihr die Zeit lang in ihrer winzigen Zelle. Die einzige Abwechslung bestand in Schlafen, Lesen und darin, dass ihr jemand etwas zu essen brachte. Aber sie konnte schließlich nicht den ganzen Tag schlafen oder lesen.
    Weiteren Besuch bekam sie auch nicht mehr. Zum Glück nicht von Seip, aber auch nicht von Pastor Heine, der längst wieder nach Waimea zurückgekehrt war.
    Sie suchte nach Beschäftigung. Tat alles, was sie von der Langeweile und dem Grübeln ablenkte. Irgendwann begann sie leise alle deutschen Kirchenlieder zu singen, die ihr einfielen. Alle Kinder- und Wiegenlieder, die ihr in den Sinn kamen, immer wieder, bis sie ihre eigene Stimme nicht mehr ertragen konnte.
    Sie wusch sich notdürftig in einer angeschlagenen Wasserschüssel. Auch ihre Haare brauchten dringend eine Wäsche, aber daran war hier wohl nicht zu denken. So drehte sie sie nur zusammen und steckte den Knoten in ihrem Nacken fest.
    Was war nur los? Wieso ließ man sie nicht frei? Inzwischen musste Alexander doch erfahren haben, was man ihr vorwarf. Warum tat er nichts für ihre Freilassung? Wieso ließ er sie hier drinnen sitzen?
    Sie suchte nach Erklärungen, versuchte, sich zu beruhigen. Wahrscheinlich brauchte er erst eine offizielle
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