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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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Erlaubnis, sich aus dem Fort entfernen zu dürfen. Und wer wusste schon, wer dafür zuständig war; die Mühlen des Gesetzes mahlten vermutlich auch in Nelson recht langsam. Sie musste einfach etwas mehr Geduld haben. Dann würde alles gut werden.
    Doch als sich die Tür zu ihrer Zelle am Donnerstagmorgen endlich öffnete, war es nicht, um sie freizulassen: Man brachte sie lediglich zu einer vorläufigen Anhörung ins Gerichtsgebäude. Dennoch war sie voller Hoffnung. Alexander hatte sicher für sie ausgesagt, und jetzt musste sie bestimmt nur noch etwas unterschreiben oder eine Aussage machen, bevor sie gehen durfte. Schließlich musste alles seine Richtigkeit haben.
    Aber dann kam alles anders. Im Gerichtsgebäude stellte sich ihr ein Mr Poynter als ihr Rechtsbeistand vor und sprach in schnellem Englisch auf sie ein. Lina verstand kaum etwas von dem, was er von ihr wollte. Sie kam sich vor, als träume sie. Hoffentlich keinen Albtraum.
    Bei der Anhörung waren lediglich der Friedensrichter und Mr Poynter anwesend. Sie war reichlich eingeschüchtert, als sie vor der hohen Bank Rede und Antwort stehen musste. Kaum wollten ihr die richtigen Worte auf Englisch einfallen, als sie erzählen sollte, wie Rudolf Treban gestorben war. Aber auch wenn sie sich entsetzlich klein und hilflos vorkam, bestritt sie doch entschieden, irgendetwas mit Rudolfs Tod zu tun zu haben. Zudem erzählte sie von Mr Seips Angriff in der Wildnis auf sie – natürlich ohne seine Suche nach dem Gold zu erwähnen.
    Der Friedensrichter hörte sich alles an, stellte einige Fragen und machte sich ein paar Notizen. Dann wiegte er den Kopf.
    »Für eine solch schwere Anschuldigung«, erklärte er daraufhin, »wird ein Richter aus Wellington kommen müssen.« Genau wie Seip gesagt hatte. »Das wird nicht vor nächster Woche der Fall sein.«
    Dann verfügte er, dass man sie zurück in ihre Zelle schickte.
    Lina war wie vor den Kopf gestoßen. Sie sollte wieder ins Gefängnis?
    »Aber …«, wandte sie verzweifelt ein. »Haben Sie denn noch nicht mit Alexander Treban gesprochen?«
    Der Friedensrichter nickte. »Natürlich. Der junge Mann wurde bereits am Montag angehört.«
    Schon am Montag? Lina kam sich vor wie ein begriffsstutziges Kleinkind. Alexander hatte seine Aussage schon längst gemacht?
    »Aber wieso … muss ich dann zurück ins Gefängnis?«
    »Ganz einfach.« Der Friedensrichter sah sie mitleidig an. »Weil er nichts ausgesagt hat, was für Ihre Unschuld sprechen würde.«
    Lina fühlte sich entsetzlich. Kaum bekam sie mit, dass man sie zurück ins Gefängnis führte, wo Mr Mills sie wieder in Empfang nahm. Sie hätte heulen können, als sich die Zellentür erneut hinter ihr schloss. Dabei hätte sie dringend handeln müssen. Sie musste um Papier und Feder bitten und Briefe schreiben. An ihren Vormund, Mr Kelling, und ihn um Unterstützung bitten. Und am besten auch an Pastor Heine und Mr Bensemann. Vielleicht konnten auch die Tucketts ihr helfen.
    Aber sie war wie gelähmt vor Enttäuschung und Verzweiflung. Alexander hatte sie nicht entlastet. Bedeutete das etwa, dass er glaubte, was man ihr vorwarf? Dass er tatsächlich der Meinung war, sie hätte seinen Vater umgebracht? Sie konnte kaum atmen, wenn sie daran dachte, was das bedeutete.
    Traute er ihr das wirklich zu? Hielt er sie tatsächlich für – eine Mörderin?
    Aber er hatte ihr schließlich schon kurz vor der Hochzeit unterstellt, seinen Vater nur aus Berechnung zu heiraten. Und danach war er auch nicht gerade sonderlich zuvorkommend gewesen. Bis zu jenem Abend unter freiem Himmel, der alles geändert hatte. Noch vor wenigen Tagen hatte er sie geküsst, ihr süße Worte ins Ohr geflüstert. Hatte er das denn alles vergessen?
    Wie musste er sie verachten, wenn er ihr tatsächlich zutraute, wessen sie angeklagt war.
    Dass ausgerechnet Alexander sich von ihr abwandte, war mehr, als sie ertragen konnte. So verraten und enttäuscht hatte sie sich noch nie gefühlt. Nicht einmal weinen konnte sie. Stundenlang saß sie nur stumm und wie gelähmt auf ihrer Pritsche und starrte die Wand an.
    Sie versuchte, Wut zu empfinden – Wut auf Seip, der ihr das alles hier eingebrockt hatte, aber auch auf Alexander, der offensichtlich einer verleumderischen Anzeige mehr glaubte als ihr. Der nichts zu ihrer Rettung tat. Aber da waren nur Enttäuschung und Verzweiflung.
    Und allmählich stahl sich auch noch Angst hinzu.
    Wenn Alexander ihr nicht glaubte – würde es dann auch der Richter nicht tun?
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