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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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stand ein junger Mann, noch keine zwanzig Jahre alt, der ziemlich wütend aussah. Er sagte etwas, das sich anhörte wie watarjuduinghir . Lina hatte auf der Skjold zwar Englisch gepaukt, aber in diesem Moment war alles weg. Außerdem hörte es sich ganz anders an als alles, was sie gelernt hatte.
    »What?«, fragte sie hilflos.
    Der junge Mann trug ein Hemd mit offenem Kragen und eine gestreifte Weste, und sein halblanges, dunkelblondes Haar war länger, als es in Deutschland Mode war. Eigentlich sah er ziemlich gut aus – allerdings blickte er sie noch immer mit einem dermaßen finsteren Ausdruck an, dass ihr angst und bange wurde.
    »Good afternoon«, sagte sie das erste Beste, was ihr einfiel. Guten Tag. »Sir«, setzte sie noch hintendran. »… we … I … come from …« Ach, es war zum Verzweifeln. Sie brachte nicht ein richtiges englisches Wort heraus. »Rieke!« Sie drehte sich zu ihrer Schwester um, die jetzt auch näher kam. »Was heißt ›Wir sind gerade erst angekommen‹ auf Englisch?«
    Rieke hob nur die Schultern und starrte den jungen Mann an.
    »Sie kommen aus Deutschland?« Akzentfrei wechselte dieser ins Deutsche.
    Lina seufzte erleichtert auf. »Ja, wir sind gerade gelandet. Mit der Skjold .« Sie deutete in Richtung Hafen. Etwas baumelte in ihrem Blickfeld; sie trug ja noch immer den albernen Blumenkranz auf dem Kopf! Hastig zog sie ihn sich aus den Haaren. »Karolina Salzmann. Und das ist meine Schwester Rieke.«
    Die Miene des Mannes wurde kaum freundlicher. »Nun, Karolina Salzmann, ich denke, auch in Deutschland ist privates Eigentum geschützt. Diese Plantage gehört meinem Vater. Können Sie nicht sehen, wo Sie hintreten? Diese kleinen Setzlinge sind Apfelbäume, die wir erst im letzten Jahr gepflanzt haben, und jetzt sind etliche davon niedergetrampelt!«
    Lina blickte betreten um sich. Jetzt erst sah sie, dass hinter den Setzlingen viele kleine Apfelbäume wuchsen, die aufrecht wie Soldaten an einem Spalier standen. Dahinter erstreckten sich mehrere Reihen größerer, frei stehender Obstbäume. Äpfel, aber auch Birnen. Noch trug keiner von ihnen Blüten, aber an den schlanken Zweigen waren bereits die ersten Knospen zu sehen.
    Der junge Mann war in die Hocke gegangen und machte sich nun daran, einen abgeknickten Setzling, der in dem wuchernden Gras fast verschwand, wieder aufzurichten.
    »Das wusste ich nicht. Es … es tut mir leid!« Lina war feuerrot geworden.
    »Sie wissen wahrscheinlich nicht, was es heißt, jeden Pfennig umdrehen zu müssen. Aber wir alle hier hatten in den letzten Monaten nicht gerade viel zu beißen.«
    Lina verkniff sich eine patzige Antwort und wollte stattdessen neben ihm auf die Knie gehen. »Warten Sie, ich helfe Ihnen.«
    Er aber schüttelte den Kopf. »Lassen Sie das bloß! Gehen Sie, bevor Sie noch mehr anrichten!«
    Lina erhob sich. »Arroganter Wichtigtuer«, murmelte sie ganz leise.
    Im nächsten Moment fuhr ihr der Schreck in alle Glieder. Der junge Mann hatte den Kopf gehoben und starrte sie feindselig an. Ob er das etwa gehört hatte?
    Und wenn schon: Sie würde sich nicht einschüchtern lassen. Trotzig warf sie den Kopf zurück und strich sich den Rock glatt. »Komm, Rieke, wir gehen.«

Kapitel 6
    Was Lina von Weitem für ein Fort gehalten hatte, erwies sich tatsächlich als eine befestigte Anlage. Eine kleine Zugbrücke führte sie hinter Erdwall und Graben, die den gesamten Hügel umgaben. Etliche Meter dahinter erhob sich eine hölzerne Palisade, die alle Gebäude auf dem Hügel umschloss. In der Umzäunung aus dicken Planken sah Lina kleine Öffnungen, die wohl als Schießscharten dienen sollten. Sogar eine Kanone stand dort. Die Hölzer der Palisade sahen neu aus, als hätte man sie erst vor Kurzem errichtet. Wovor hatten die Bewohner Nelsons bloß solche Angst?
    Als sie weiter nach oben stiegen, kam Lina an dem Vermessungsamt vorbei, an einer Zeitungsredaktion, an Lagerräumen sowie an einem »Literarischen und Wissenschaftlichen Institut«. Ganz oben auf dem Hügel erhoben sich die Baracken für die Neuankömmlinge, zwei einfache Gebäude mit Wänden aus Holz und einem Dach, das bedeckt war mit dicken, reetähnlichen Büscheln. Ein paar Schritte weiter stand das Büro der Neuseeland-Compagnie, wie ein Schild über der Tür auswies.
    Lina hielt an, als sie laute Stimmen hörte. Ein Blick durch das geöffnete Fenster zeigte ihr ein Amtszimmer. Darin standen die Gebrüder Kelling im Gespräch mit jemandem, der von ihnen verdeckt wurde.
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