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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle
Autoren: Karla Schmidt
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der
Vorstellung, ihr vielleicht Ärger zu bereiten, wenn er sich danebenbenahm.
    Andererseits war ihm klar, dass das hier so eine Art Mutprobe war,
die er bestehen musste, wenn er bei den Bühnenjungs dazugehören wollte. Er sah
den Counter an, die abgewetzte, glänzende Stelle, wo schon unzählige Leute ihre
Aktenkoffer und Handtaschen abgestellt hatten.
    Â»Feige?«
    Simon zuckte die Achseln. Er drückte sich hoch, schwang die Beine
über den Counter und ließ sich auf der anderen Seite runtergleiten.
    Â»Gib mal die Lampe«, sagte er gelassen, obwohl er nun doch Angst
verspürte. Es wäre einfach unendlich peinlich, erwischt zu werden.
    Die Schublade war verschlossen. Aber jemand war so blöd gewesen, den
Schlüssel unter der Schreibunterlage aufzubewahren, ein kleines, silbernes
Ding, das man mit zwei Fingern verbiegen konnte, wenn man wollte.
    Simon öffnete die Schublade, zog rasselnd und klirrend das Gewirr
von Schlüsselbunden heraus und hielt es in die Höhe. Sein Herz raste, aber das
war jetzt nicht nur Angst, sondern auch Triumph.
    Â»Geil!«, sagte Matti.
    Simon grinste. »Und jetzt?«
    Â»Jetzt sehen wir uns in dem Gemäuer mal richtig um!«
    Â»Das sind mindestens zweihundert Schlüssel. Wir brauchen Wochen, um
die richtigen für die Türen zu finden.«
    Matti kratzte sich mit einem spitzen Finger zwischen den Dreads.
    Â»Stimmt. Kacke.«
    Eigentlich wollte Simon sagen, dass sie den Schlüsselbund besser
zurücklegten, er wollte Mattis Moment der Ratlosigkeit nutzen, bevor er wieder
Oberwasser hatte. Aber etwas hatte ihn gepackt, ein Flirren in seiner Brust,
etwas, das ihm den Atem nahm und sich unangenehm und erregend zugleich
anfühlte.
    Â»Wir gucken erst mal, wie weit wir mit dem elektronischen kommen,
und wenn’s nicht weitergeht, probieren wir die Schlüssel aus. Und in einer
Stunde machen wir Schluss und legen das Ding zurück.«
    Jetzt grinste Matti.
    Â»Okay, Emoman!«
    Â»Wo fangen wir an?«
    Matti zog einen zusammengefalteten Lageplan aus der Tasche und sah
ihn sich an.
    Â»Lass uns zuerst in die Schalterhalle gehen. Damit wir die
Orientierung nicht verlieren.«
    Simon schob den Schlüsselbund über den Counter, kletterte zurück und
Matti übernahm die Führung.
    Â»Angeblich gibt es hier voll abgefahrene Sachen. Alte Ballsäle,
Billardsalons, Sporthallen, Geheimarchive, ausgebrannte Bunker, Katakomben,
Schaltzentralen, verrückte Gänge, sogar eine unterirdische Bahn.«
    Simon hörte nur halb zu, weil er versuchte, sich den Weg
einzuprägen.
    Zuerst gingen sie durch einen schnurgeraden Gang und überquerten einen
Hof mit einem Spielplatz. Eine rot lackierte Holzeisenbahn schimmerte in dem
fahlen Licht, das von den Wolken über der Stadt zurückgeworfen wurde.
    Â»Das da vorn ist der Hintereingang zu unserer Kantine«, sagte Matti
nach einem Blick auf seinen Plan.
    Â»Wieso unserer?«
    Â»Es gibt noch vier andere. Da vorne müssen wir bestimmt durch.«
    Der nächste Hof war heruntergekommen, der Putz blätterte von den
Wänden, und ein Treppenturm ragte wuchtig und mit blinden Fenstern vor ihnen
auf. Matti drehte den Plan und blickte sich um.
    Â»Okay, nach rechts. Da unter den Arkaden durch. Da müsste wieder ein
Hof kommen.«
    Sie durchquerten eine Durchfahrt für Lieferwagen und blickten in
einen Abgrund hinab.
    Â»Shit! Was ist das denn!«
    In einer Art gigantischem Burggraben standen mehrere Löschzüge. Mit
Plastik verhängte Tore, durch die ganze Schiffe hätten fahren können, führten
in die unterirdischen Bereiche des Flughafens.
    Â»Da vorne. Das muss die Halle sein«, sagte Matti.
    Simons elektronischer Schlüssel passte, mit einem leisen Klicken
öffnete sich die Glastür und sie schlüpften hindurch.
    Zwei Modellflugzeuge hingen unter der Decke, vor ihnen befanden sich
die Abfertigungsschalter, darüber verglaste Büros und gegenüber ein paar
verlassene Geschäfte. Ein einziges Gepäckförderband im hinteren Teil der Halle.
    Das Gepäck wurde direkt aus einem schwarzen Loch im Fußboden
gespuckt, eine von dort heraufführende Zunge brachte die Koffer und Taschen auf
ein ovales Band, auf dem sie früher so lange im Kreis gefahren waren, bis
jemand sie mitnahm. Als kleines Kind hatte Simon sich immer gewünscht, mal auf
so einem Band mitfahren zu dürfen, aber seine Mutter hatte es ihm nie
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